Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
ja nicht zuhören wollen.«
In ihrer Stimme lag nicht der Hauch von einem Vorwurf. Cecilie stellte nur die
Tatsache fest. Die sie beide kannten, seit langem.
»Verzeih mir.«
Diese Worte waren sinnlos, und Hanne hätte sie am liebsten
hinuntergeschluckt. Aber sie wiederholte sie, ohne etwas anderes zu bewegen
als ihre Lippen.
»Verzeih mir, Cecilie. Verzeih mir.«
Dann hob sie die Hände zum Gesicht und brach in ein so fremdes Weinen aus,
daß es ihnen beiden angst machte. Ihr Körper zitterte heftig, und sie sank in
die Knie.
Cecilie blieb stehen und sah sie an. Sie hätte gern die bittende, flehende
Gestalt berührt. Für einen Moment versuchte sie, die Hand zu heben; Hanne
war so nah, daß sie ihr über den Kopf hätte streichen können, als eine Art Se-
gen. Aber ihr Arm war zu schwer. Sie drehte sich um, ging zurück auf den Flur,
streifte ihren Mantel ab und ließ ihn auf den Boden fallen.
»Cecilie«, hörte sie Hanne schluchzen.
Eine Antwort war nicht möglich. Nicht jetzt, vielleicht nie. Routinemäßig ging
sie in die Küche und drehte den Herd ab, dann ging sie ins Bett. Als Hanne
irgendwann in der Nacht hinterherkam, rutschte Cecilie so weit auf ihre Seite
im Doppelbett, daß sie fast auf den Boden gefallen wäre.
Wenn sie mich nur anfaßt, dachte sie. Wenn sie sich nur an meinen Rücken
schmiegt.
Als langsam die Morgendämmerung heraufzog, hatten Hanne Wilhelmsen und
Cecilie Vibe einander eine ganze Nacht lang beim Atmen zugehört. Doch
berührt hatten sie einander dabei nicht.
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Die Müdigkeit umschloß ihren Kopf wie Stacheldraht. Es bohrte und
schmerzte, und Hanne Wilhelmsen hatte das Gefühl, sie werde niemals wieder
schlafen können. Sie faßte sich an die Stirn und schwankte offenbar, denn Karl
Sommaroy griff nach ihr.
»He«, sagte er. »Geht's dir nicht gut?«
»Ich bin bloß müde.«
Sie lächelte schwach und hob die Hand, um ihren Kollegen zu beruhigen.
»Ein bißchen schwindlig. Ist schon wieder vorbei.«
Die Wohnung sah aus wie die Schale eines Lebens, das kaum existiert hatte.
Das Sofa war beige und alt, aber nicht abgenutzt. Der Couchtisch war nackt,
nur eine dünne Staubschicht verriet, daß auch hier die Zeit verging. Die
Wände waren kahl und weiß. Keine Bilder, keine Bücherregale. Nicht einmal
eine alte Zeitung war irgendwo zu finden. Auch der Lärm der Stadt hörte sich
durch die geschlossenen Fenster fern und unwirklich an, wie eine nur
nachlässig angelegte Geräuschkulisse.
»Ich halt diese ganze Salvesen-Kiste für einen Scheißdreck«, murmelte Karl
Sommaroy, er stand mit Plastikhandschuhen an den Händen mitten im
Zimmer und hatte keine Ahnung, was er machen sollte. »Halvorsrud hat schon
so viel gelogen. Über die Trennung. Über das Geld. Und hier lügt er sicher
auch. Außerdem ist der Heini doch tot. Glauben wir.«
Hanne gab keine Antwort. Sie ging ins Schlafzimmer.
Stäle Salvesen hatte offenbar nicht mit häufigem Damenbesuch gerechnet. Das
Bett war nur siebzig Zentimeter breit. Das Bettzeug sah sauber aus. Ein
dunkelblauer Schlafanzug, sorgfältig zusammengelegt, kam zum Vorschein, als
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sie die Decke hob. Es gab keinen Nachttisch und keine Bücher oder
Zeitschriften. Stäle Salvesen hatte nicht einmal einen Wecker. Aber vielleicht
hatte er in den letzten Jahren auch nicht viele Termine gehabt.
Die Wände waren leuchtendgelb. Auch hier gab es keinerlei Ziergegenstände.
Langsam öffnete Hanne nacheinander drei Kommodenschubladen. Die obere
enthielt vier verknüllte Sockenpaare, allesamt schwarz. Die mittlere war leer.
Die untere war bis zum Rand mit Unterhosen und weißen Unterhemden
vollgestopft.
»Gibt es irgendwo noch andere Schubladen?« fragte sie halblaut.
»Nur in der Küche«, hörte sie Sommarey im Wohnzimmer sagen. »Zwei mit
Besteck und Küchenkram, die anderen sind leer.«
»Wie viele Schubladen hast du zu Hause?« fragte Hanne leicht zerstreut.
»Was?«
Sommaroy lehnte sich an den Türrahmen.
»Schubladen«, wiederholte Hanne Wilhelmsen. »Wie viele hast du?«
»Tja... fünf im Schlafzimmer. Sechs im Bücherregal im Wohnzimmer. Noch
einige in einem Büfett, das meine Frau geerbt hat, wie viele, weiß ich nicht.
Und die Kinder haben eine ganze Mengeja, im Badezimmer sind auch noch
zwei. Das müßte alles sein.«
»Wie viele davon sind leer?«
»Leer? Keine.«
Sommaroy lachte. Sein Lachen paßte zu seinem winzigen Unterkiefer; hoch
und schrill wie das eines Kindes, das vorgibt,
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