Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
beißende
Salmiakgeruch konnte den Geruch von Schimmel unterdrücken, der vom
Beton unter dem Bodenbelag aufstieg. Das Waschbecken hatte Risse. Der
Schrank neben dem Spiegel hing auf halb zwölf und war leer. Nur eine
einsame, verschlissene Zahnbürste in einem Wasserglas verriet, daß hier
wirklich jemand gewohnt hatte.
»Gehen wir«, sagte Hanne endlich.
Das Telefon stand in der Diele, auf einem kleinen, gebrechlichen Tischchen.
Hanne Wilhelmsen hob den Hörer ab, drückte auf die Wiederholungstaste und
hielt ihn an ihr Ohr.
»Hier ist die Auskunft«, hörte sie nach dreimaligem Klingeln.
Sie legte wortlos auf.
»Die Auskunft«, sagte sie leise. »Als letztes hat er die Auskunft angerufen.
Stell fest, ob der Anruf registriert worden
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ist. Ob wir in Erfahrung bringen können, was er wissen wollte. Welche
Nummer er gesucht hat.«
»Eine Nummer, die er dann nicht angerufen hat«, sagte Karl Sommaroy
ungeduldig.
»Auf jeden Fall nicht von hier aus«, erwiderte Hanne.
Sie entdeckte einige Zettel, die auf den Boden gefallen waren, als sie den Hörer abgenommen hatte. Diese Zettel waren offenbar zwischen Tisch und Wand
eingeklemmt gewesen. Sie bückte sich und hob sie hoch. Vier oder fünf
Rechnungen waren mit einer großen Büroklammer aneinander befestigt. Sie
zog eine Plastiktüte aus der Tasche und steckte die Rechnungen hinein.
Neben dem Telefon lag ein kleiner unbeschriebener Notizblock. Ein
Kugelschreiber bedeckte ihn schräg, es sah fast aus wie ein kunstvolles
Arrangement. Hanne legte den Kugelschreiber beiseite und ging mit dem
Block ins Wohnzimmer. Sie hielt das oberste Blatt ins Licht. Auf dem feh-
lenden Zettel war etwas geschrieben gewesen. Ein schwacher Abdruck tauchte
auf, als sie das Papier in einem bestimmten Winkel hielt.
»1.09.99«, las sie langsam. »1. September 1999?«
»Erster September«, wiederholte Karl Sommaroy interessiert. »Was zum
Teufel passiert denn da?«
»Das wüßte ich auch gern«, sagte Hanne. »Jetzt gehen wir.«
Sie faltete den Zettel ordentlich zusammen, steckte ihn in eine weitere
Plastiktüte und stopfte sich dann alles in die Tasche. Ihre Kopfschmerzen
quälten sie jetzt wirklich, aber sie fühlte sich nicht mehr so müde.
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»Ein Mädchen!«
Billy T. knallte mit der Tür, und ehe Hanne aufblicken konnte, hatte er sie
auch schon aus dem Sessel gehoben.
»Ein wunderschönes, schwarzhaariges Mädchen, und sie ist mir wie aus dem
Gesicht geschnitten.«
Er kniff die Augen zusammen und verpaßte ihr einen lauten Schmatz, dann
setzte er sie wieder hin. Danach zog er zwei riesige Zigarren hervor und bot ihr eine an.
»Sie wurde bei Karen und Häkon geboren«, brüllte er und paffte energisch,
um richtig Glut zu entwickeln. Dann setzte er sich. »Ich war Hebamme,
Hanne. Das war...«
Der Rauch quoll in zufriedenen Wölkchen aus seinem Gesicht.
»Das war verdammt noch mal das Tollste, was ich je erlebt habe. In meinem
ganzen Leben. Aber...« Er starrte Hanne an.
»Gratuliere«, sagte sie tonlos. »Wie schön. Daß es ein Mädchen ist, meine
ich.«
»Was in aller Welt ist denn mit dir los?«
Mit heftigen Bewegungen drückte er seine Zigarre aus und beugte sich zu ihr
vor. »Bist du...«
Dann ließ er sich abrupt zurücksinken.
»Du hast mit Cecilie gesprochen«, sagte er langsam.
»Ich spreche jeden Tag mit Cecilie«, sagte sie abweisend. »Wie geht es denn
Tone-Marit?«
»Noch steht nichts fest, Hanne.«
»Nichts steht fest? Geht es ihr nicht gut?«
»Ich rede nicht über Tone-Marit. Ich rede über Cecilie. Den Krebs.«
Hanne Wilhelmsen machte sich an der Zigarre zu schaffen.
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»Du hast es also gewußt«, sagte sie mit scharfer Stimme. »Ja, wie nett. Daß du
und Cecilie Geheimnisse teilen könnt, meine ich. Reizend. Vielleicht könntest
du auch mal ein paar Geheimnisse mit mir teilen. Und mir zum Beispiel ver-
raten, wo du dich herumtreibst. Du hättest schon vor fünf Stunden hier sein
sollen.«
Die Zigarre zerbrach. Sie nahm in jede Hand eine Hälfte und drückte zu. Die
trockenen Tabaksblätter knisterten.
»Hanne Wilhelmsen!«
Billy T. verdrehte die Augen und versuchte, ihre eine Hand zu nehmen. Sie zog
sie heftig und demonstrativ zurück. Tabakskrümel stoben nach allen Seiten
auf.
»Hanne«, sagte er noch einmal und versuchte, ihren Blick einzufangen. »Ich
möchte mit dir darüber sprechen. Bitte.«
Wenn sie seinen Blick erwidert hätte, hätte sie etwas gesehen, was sie an ihm
noch nie
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