Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
etwas komisch zu finden, obwohl
es den Witz nicht begriffen hat.
»Meine Frau jammert schrecklich darüber«, fügte er hinzu.
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»Genau«, murmelte Hanne Wilhelmsen und öffnete den
Schlafzimmerschrank.
Der hatte eine Doppeltür. Eine Hälfte war mit Regalfächern gefüllt, die andere
enthielt eine Stange mit Kleiderbügeln. Die Fächer waren zur Hälfte mit
ordentlich aufgestapelten Kleidungsstücken gefüllt und dufteten schwach nach
Tabak. Sie schob zwei Anzüge zur Seite, in der Hoffnung, daß sich dahinter
etwas versteckte. Aber sie fand nichts.
»Siehst du nicht, was das hier ist«, fragte sie und schob den Kollegen beiseite, um in die Diele zurückzugehen, wo unter der Decke eine einsame Birne
blauweißes Licht auf einen Wintermantel warf, der ganz allein an einem
Haken neben der Wohnungstür hing.
»Was das ist? Das ist eine Wohnung, in der es nicht gerade zum Brüllen
komisch zugegangen ist...«
»Hier fehlt etwas.«
Jetzt stand sie in der Küche. Die Einrichtung stammte aus den fünfziger
Jahren, mit schrägen Schiebetüren und fettigem Schrankpapier, das mit
uralten Heftzwecken befestigt war. Tisch und Bank waren abgenutzt und
zerkratzt, rochen aber leicht nach Putzmittel, und sogar der Spüllappen, der
über dem Boiler hing, war kreideweiß und stank nach Chlor. Hanne öffnete
eine Schublade nach der anderen.
»Wonach suchst du hier eigentlich?«
Wie alle anderen in der Abteilung hatte Karl Sommaroy sich daran gewöhnt,
daß Hanne Wilhelmsen sich viel aktiver an den Ermittlungen beteiligte als
andere Hauptkommissarinnen. Gerüchteweise sollte sie noch dazu eine Ab-
machung mit dem Polizeipräsidenten getroffen haben. Sie hatte angeblich mit
Kündigung gedroht, als ihre Untergebenen sich allzusehr beklagt hatten. Karl
Sommaroy war einer von denen, die mit Hannes Arbeitsmethoden einver-
standen waren. In letzter Zeit war sie jedoch immer seltsamer und bisweilen
auch aufreizend wortkarg geworden.
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»Ich suche das, was nicht hier ist«, antwortete sie und beugte sich über eine
offene Schublade. »Schau mal.«
Sie ließ ihren rechten Zeigefinger um die abgerundete Kante der
Schubladeneinlage wandern. Als sie dann den Finger hob, sah er auf der
Fingerspitze Fussel und Schmutzspuren.
»Und hier«, sagte er und runzelte die Stirn.
»Hier hat etwas gelegen. Diese Wohnung ist zu leer, um wahr zu sein. Stäle
Salvesen hat hier doch über drei Jahre gewohnt.«
»Ein Penner mit Sozialhilfe«, murmelte Sommarey.
»Nein. Eine gescheiterte Größe. Ein Mann, der offenbar über Intelligenz und
früher auch über einen Tatendrang verfügte, die ihn weit gebracht haben. Er
hat nicht vier Jahre in einem Vakuum gelebt. Er muß Interessen gehabt haben.
Irgendwas. Etwas, mit dem er Zeit totschlagen konnte. Aber er hat sich die
Mühe gemacht, absolut alle Spuren von gelebtem Leben zu tilgen. Diese
Wohnung sieht im Grunde aus wie ein schäbiges Hotel. Identitätslos.«
»Aber«, protestierte Sommaroy »Es kommt doch sehr häufig vor, daß
Menschen mit Selbstmordabsichten aufräumen. Vorher, meine ich. Ehe sie...«
»Aufräumen, ja. Aber diese Wohnung ist doch fast autoklaviert.«
Karl Sommaroy hielt den Mund.
»Desinfiziert«, erklärte Hanne. »Sterilisiert.«
»Im Kühlschrank liegt noch was«, murmelte Sommaroy leicht verstimmt.
Hanne Wilhelmsen schaute nach. Der Gestank alter Lebensmittel schlug ihr
entgegen, und sie runzelte die Stirn.
»Warum ist das nicht entfernt worden?« fragte sie gereizt.
»Wer hätte das denn machen sollen?« fragte er wütend zurück.
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Hanne Wilhelmsen lächelte matt.
»Du jedenfalls nicht. Wir nehmen das mit. Und du hast recht. Es ist seltsam,
daß er vor seiner Übersiedlung ins Jenseits nicht den Kühlschrank
leergeräumt hat.«
Sie blieb für einen Moment stehen und starrte einen Milchkarton, einen
schimmeligen, offen daliegenden Käse, einen Joghurt, dessen Datum längst
abgelaufen war, einen verwelkten Kopfsalat und zwei Tomaten an, die langsam
schon flüssig wurden. Plötzlich verzog sich ihr Gesicht, mit einem Zucken, das
Karl Sommaroy nicht deuten konnte.
»Natürlich«, sagte sie leise.
»Wieso natürlich?«
»Nichts. Ich bin nicht sicher. Komm, wir werfen einen Blick ins Badezimmer.«
Das war winzigklein. Strenggenommen konnte man gleichzeitig auf dem Klo
sitzen, duschen und sich die Zähne putzen. Der Linoleumbelag auf dem Boden
hatte sich um den Abfluß herum gelöst, und nicht einmal der
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