Er dachte daran, wie
eiskaltes Wasser nach einer langen Joggingrunde den Mund füllte; er folgte
dem Weg der Flüssigkeit vom Gaumen durch den Hals. Und dann zog er die
Jacke aus.
Jetzt klapperte er mit den Zähnen.
Zwei elektronische Briefe hatte er erhalten. Eine E-Mail
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ohne Unterschrift und mit nichtssagendem Absender: po -ker-
[email protected]. Die andere war mit »eine Person, die nie vergißt«
unterzeichnet. Die was nie vergißt?
Vielleicht war es möglich, eine Hotmail-Adresse ausfindig zu machen.
Vielleicht gab es entsprechende Register. Evald Bromo wußte sehr gut, daß die
Polizei bisweilen nur mit großer Mühe die Erlaubnis der Netprovider einholen
konnte, um den Ursprung einer Mail festzustellen. Um so schwerer mußte das
Privatpersonen fallen. Er hatte schon einen Kollegen, der sich mit
elektronischer Kommunikation sehr viel besser auskannte, um Hilfe bitten
wollen. Aber das hatte er dann doch nicht über sich gebracht. Als ihm die
Hitze in die Wangen stieg, hatte er statt dessen um Hilfe beim Zugang zu
einem Archiv gebeten, in das er nicht hineinkam.
Das Schlimmste war jedoch, daß die Mails vermutlich irgendwo im riesigen
IT-System von Afienposten gespeichert waren. Als sie mit einem pling auf seinem Bildschirm aufgetaucht waren, hatte er sie geöffnet, zweimal gelesen
und gelöscht. Er wollte weg von ihnen, sie mußten verschwinden. Erst
nachdem er die zweite gelöscht hatte, die am Morgen des Vortags gekommen
war und die ihn endgültig in Panik versetzt hatte, fiel ihm ein, daß sie noch
immer irgendwo gespeichert sein konnten. Evald Bromo erinnerte sich vage
an eine Mitteilung, die vor einigen Monaten in seinem Postfach gelegen hatte.
Da es um Dinge gegangen war, von denen er keine Ahnung hatte, hatte er sie
nur überflogen. Aber er hatte sich die Warnung gemerkt: Daß die IT-
Verantwortlichen aus technischen Ursachen gezwungen sein könnten, private
Post zu untersuchen. Und daß gelöschte Dokumente noch eine Zeitlang inj
System liegen konnten.
Evald Bromo war ein guter Journalist. Er war sechsund
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vierzig Jahre alt und hatte seine Arbeit noch nicht satt bekommen. Er lebte
still und ruhig mit einem begrenzten Bekanntenkreis und einer, wie seine
Umgebung fand, rührenden Fürsorge für seine alte Mutter. Im Laufe der Jahre
hatte er sich eine Art wirtschaftliche Ausbildung zugelegt; hier einen BWL-
Lehrgang besucht, dort einen Fernkurs. Genug, um vernünftige Fragen zu
stellen. Mehr als ausreichend, um Schwächen dort zu finden, wo sie
vorhanden waren. Wie es sich für einen guten Wirtschaftsjournalisten gehört.
Evald Bromo ging bei seiner Arbeit ebenso gründlich vor wie beim Bauen von
Modellbooten, was sich inzwischen zu einem zeitraubenden Hobby entwickelt
hatte.
Zum Bootsbauen und zum Schreiben waren dieselben Qualitäten vonnöten:
Gründlichkeit, Zuverlässigkeit.
So, wie bei einem Schiff jedes kleinste Detail stimmen mußte, von den
Kanonenkugeln bis zu den Nähten der Segel und den Gewändern der
Galionsfigur, mußten auch seine Artikel korrekt sein. Kritisch, bisweilen
vielleicht nicht ganz objektiv, aber immer zuverlässig. Alle mußten zu Wort
kommen. Alle das sagen können, was sie zu sagen hatten.
Evald Bromo hatte nur eine wirkliche Schwäche.
Natürlich hatte sein Leben auch seine traurigen Seiten. Der Vater, im Suff
gestorben, als Evald erst sechs Jahre alt war, suchte diesen seither ab und zu
in seinen Träumen auf. Die Mutter hatte für ihren Sohn getan, was sie konnte.
Selbst jetzt, wo sie in der gebrechlichen Schale ihres Körpers dalag, mit einem
Kopf, der längst einen Kurzschluß erlitten hatte, bedeuteten die fast täglichen
Besuche im Pflegeheim für Evald Bromo eine stille Freude. Seine Ehe mit
Margaret Kleiven war niemals eine Galavorstellung gewesen. Aber sie brachte
ihm Ruhe. Seit vierzehn Jahren brachte sie ihm Zuwendung, Essen und Ruhe.
Evald Bromos Schwäche waren kleine Mädchen.
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Er wußte nicht mehr, wann es angefangen hatte. Vielleicht war es ja immer so
gewesen. In gewisser Hinsicht war er ihnen nie entwachsen. Den kichernden,
kaugummikauenden Mädchen mit Rattenschwänzchen und langen Strümpfen
unter kurzen Röcken, die ihn in dem Frühling umschwärmt hatten, als er zu
seinem zwölften Geburtstag von einer Tante fünfhundert Kronen bekommen
hatte. Die Mädchen wurden im Laufe der Zeit größer, aber dafür hatte Evald
Bromo keinen Blick. Er konnte nicht vergessen, was eines von ihnen