Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
ihm für
fünfzig blanke Kronen gegeben hatte; hinter der Turnhalle und gegen das
Versprechen vollständiger Diskretion.
Als junger Mann hatte er seine Gelüste mit Arbeit und Training bezwungen. Er
lief wie ein Pferd; eine Stunde, ehe andere aufstanden, und oft abends noch
zwei. Sein begonnenes Jurastudium hatte er nach anderthalb Semestern auf-
gegeben. Die Stunden im Lesesaal, gebeugt über Bücher, die ihn kein bißchen
interessierten, wurden unerträglich. Er hatte zuviel Zeit für Gedanken, die er
sich nicht eingestehen wollte. Evald Bromo lief, lief wie ein Verrückter, weg
von der Universität und weg von sich selbst. Mit zweiundzwanzig Jahren -
1974 — konnte er beim Dagbladet eine Vertretung machen. Und Laufen wurde damals gerade modern.
An seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag wurde Evald Bromo kriminell.
Er hatte nie eine Frau gehabt. Seine einzige sexuelle Erfahrung mit einem
anderen Menschen hatte er für fünfzig auf eine Schnur aufgezogene
Kronenstücke gekauft. Mit zwölfeinhalb Jahren.
Als sein Leben doppelt so lange gedauert hatte, kannte er den Unterschied
zwischen richtig und falsch. Das Mädchen, das von zu Hause durchgebrannt
war und ihn um Geld anbettelte, als er nach einer Tour durch die Stadt mit
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Leuten, die er vielleicht als Kumpel bezeichnen konnte, nach Hause torkelte,
konnte höchstens dreizehn gewesen sein. Sie bekam dreihundert Kronen und
eine Schachtel Zigaretten. Evald Bromo bekam fünf Minuten intensiver
Freude und endlose Nächte voller Reue und Angst.
Aber er hatte einen Anfang gemacht.
Er bezahlte immer. Er war absolut großzügig und wurde nie gewalttätig.
Manchmal staunte er darüber, wie leicht es war, diese Kinder zu finden. Sie
stromerten herum; sie waren überflüssig in einer Stadt, die die Augen vor
ihnen verschloß, solange sie sich nicht zu Banden zusammenrotteten. Und das
taten sie nicht. Diese nicht. Sie waren allein, und obwohl sie sich altersmäßig
nach oben schminkten, verfügte Evald Bromo über einen
seziermesserscharfen Blick, der ihm verriet, was sich unter den engen Blusen
und den mit Watte ausgestopften BHs verbarg. Er konnte das Alter eines
Mädchens fast bis auf den Monat genau erraten. Er kaufte sechs Jahre lang
illegalen Sex. Dann lernte er Margaret Kleiven kennen.
Margaret Kleiven war still, dünn und klein. Sie war freundlich. Sie war die
erste erwachsene Frau, die ihm jemals mehr als nur kollegiales Interesse
entgegengebracht hatte. Sexuelle Ansprüche stellte sie kaum. Sie heirateten
nach drei Monaten, und als er ihr den Ring an den Finger steckte, empfand
Evald Bromo vor allem Hoffnung und Erleichterung. Von jetzt ab würde
jemand ihn kontrollieren. Alles würde viel schwieriger und endlich wieder
ganz leicht werden.
Er war ihr nie untreu gewesen. Er empfand das nicht so. Als er durch Zufall in
einer in der Redaktion herumliegenden Pornozeitschrift auf eine Adresse
stieß, war die Versuchung zu groß. Ihm kam es ungefährlich vor. Es kostete
viel mehr als das Auflesen von kleinen Streunerinnen auf der Straße, aber zum
Ausgleich konnte er sein und Margarets
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Heim sauber halten. Im Laufe der Jahre hatte er andere Adressen in anderen
dubiosen Zeitschriften und manchmal noch jüngere Mädchen auftun können,
aber immer hielt er sich an die Altersgrenze von zehn Jahren. Da sagte er stop.
Das, was er tat, war falsch, es war entsetzlich falsch, aber es wurde schlimmer, je jünger sie waren.
Er war nie untreu gewesen.
Er kaufte einmal im Monat Sex.
Vor allem war er Journalist und baute Boote.
Evald Bromo war sechsundvierzig Jahre alt und machte zum ersten Mal in
seinem Leben bei der Arbeit blau. Der Morgenverkehr im Ullevälsvei hatte
sich jetzt ein wenig gelegt, und der eine oder andere kleine Vogel schien den
Frühling schon für gekommen zu halten. Es roch nach feuchter Erde und vage
nach Stadt, und er fror.
Am i. September würde die Chefredakteurin von Aftenposten mit der Post
einen Umschlag erhalten. In diesem Umschlag würden sich eine
Videoaufnahme und fünf Fotos von Evald Bromo und einem Mädchen
befinden, das noch drei Jahre bis zur Konfirmation warten mußte. Die E-Mail
hatte keinerlei Forderungen enthalten. Keine Drohungen. Keine
Auswegsmöglichkeiten von der Sorte »wenn du mir dies und jenes gibst,
dann...« Sondern nur eine Tatsache. Kurz und bündig. Das wird passieren. Am
i. September.
Evald Bromo erhob sich, starr vor Kälte. Er zog die Jacke wieder an und
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