Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
dann hätte sie mir Bescheid sagen können. Eine Vorladung als
Zeugin ist ausgesprochen ungewöhnlich und sieht wie unangebrachtes
Taktieren aus. Ich habe außerdem nicht mehr die Zeit gehabt, mit
Hauptkommissarin Wilhelmsen zu konferieren. . . «
»Konferieren«, wiederholte Richter Bugge. »Und worüber sollten Sie mit Ihrer
Kollegin zu konferieren haben? Was sie weiß, wissen Sie doch sicher auch,
Polizeianwältin Skar?«
Annmari Skar blieb unschlüssig stehen. Ziellos blätterte sie in ihren Papieren,
dann beschloß sie, daß sie nichts mehr zu sagen hatte, und setzte sich wortlos
wieder hin.
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»Das Gericht kann den Sinn dieser Aussage nicht so recht erkennen«, sagte
Richter Bugge langsam. »Aber in Anbetracht der schwerwiegenden Vorwürfe,
die dem Angeklagten gemacht werden, gestatte ich eine kurze Vernehmung.
Ist Hauptkommissarin Wilhelmsen sofort erreichbar?«
»Ich nehme an, sie wartet draußen«, sagte Karen Borg und räusperte sich
nervös.
Der Gerichtsdiener öffnete die Tür einen Spaltbreit. Einige Sekunden später
stand Hanne Wilhelmsen im Zeugenstand und lieferte ihre Personalien. Sie
versuchte, Billy T s Blick einzufangen, aber der Kollege musterte seine Hände
und wandte sich fast unmerklich von Hanne ab, indem er seine rechte Schulter
in einer unnachgiebigen Geste hob.
»Ich möchte sofort zur Sache kommen, Hanne Wilhelmsen.«
Karen Borg strich ihr Revers glatt. Sorgfältig vermied sie es, zur
Hauptkommissarin hinüberzublicken. Karen Borg wußte, was sie tat. Sie
mischte ihre Karten. Nachdrücklich und vermutlich unverzeihlich. Sie hatten
so oft darüber gesprochen, Häkon und sie selbst, Hanne und Cecilie und Billy
T. Die enge Freundschaft zwischen juristisch gegnerischen Seiten brachte
große Konflikte mit sich. Daß Häkon und sie selbst nicht in einem Fall
gegeneinander auftreten konnten, lag auf der Hand. Bei Hanne und Billy T.
war die Sache nicht so klar. Nach langen Diskussionen waren sie
übereingekommen, Ruhe zu bewahren und abzuwarten. Da Karen vor allem
Straffälle vertrat, würde es ihr sehr zu schaffen machen, wenn sie niemals
einen von Hannes Fällen anrühren dürfte.
Alles war gut gegangen. Bisher. Doch mit Hannes Vorladung hatte Karen Borg
Vorteil aus einer Vertraulichkeit gezogen, die ihr als Freundin erwiesen
worden war.
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Nicht als Anwältin. Für Karen Borg war die Loyalität ihrem Mandanten
gegenüber immer das Wichtigste. Immer.
Hanne Wilhelmsen glaubte an Halvorsruds Unschuld. Sie hatte ihre Zweifel
am Sinn einer weiteren Haft offen genannt. Sie hatte noch dazu Karen
aufgefordert, einen Antrag auf Entlassung zu stellen. Karen Borg mußte da
einfach zugreifen. Zumal ihr Mandant offenbar gerade zugrunde ging-
»Meinen Sie wirklich, daß in diesem Fall die Gefahr einer Vernichtung von
Beweismaterial besteht?«
Dafür hasse ich dich, hätte Hanne Wilhelmsen gern gerufen. Statt dessen
hüstelte sie in ihre geballte Faust hinein und antwortete: »Die Polizei ist dieser Ansicht, ja. Ich möchte nur auf das verweisen, was Polizeianwältin Skar sicher
schon vorgetragen hat.«
»Danach habe ich nicht gefragt, Frau Wilhelmsen. Ich möchte wissen, was Sie
meinen. Sie leiten diese Ermittlung und müßten in der Frage, ob ausreichende
Gründe für weitere Haft vorliegen, eine eigene Meinung haben.«
Etwas war mit Richter Bugge passiert. Sein schlaffes, mürrisches Gesicht hatte
sich plötzlich gestrafft. Seine Auglein funkelten, als er sich vorbeugte und den Kopf schräg legte. Man konnte um seine feuchten Lippen ein boshaftes
Lächeln ahnen.
»Ich arbeite bei der Polizei«, sagte Hanne Wilhelmsen hart und kurz. »Wir
halten eine weitere Haft für angebracht.«
Karen Borg seufzte demonstrativ und blickte den Richter hilfesuchend an.
»Euer Ehren«, klagte sie. »Könnten Sie mir dabei helfen, die Zeugin dazu zu
bringen, daß sie auf meine Fragen antwortet?«
»Meiner Ansicht nach antwortet die Hauptkommissarin
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zufriedenstellend«, sagte Richter Bugge gereizt. »Vielleicht stimmt etwas mit
den Fragen von Anwältin Borg nicht. Machen Sie weiter.«
»Euer Ehren«, sagte Annmari Skar verzweifelt. »Anwältin Borg verhört die
Hauptkommissarin in einer Einschätzungsfrage, die ich als Polizeianwältin zu
beantworten habe. Und das geht einfach nicht!«
Es wurde still. Nur das leise Rauschen der Lüftungsanlage mischte sich mit
dem Knistern von Papieren, die auf dem Tisch von Anwältin Borg
umgeblättert
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