Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
der
vergangenen zwanzig Jahre kaum eine Minute an die ersten zwanzig gedacht
hatte.
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»Er war verzweifelt«, sagte sie endlich und richtete sich auf. »Er wollte sich
über die Möglichkeiten eines Haftersatzes informieren. Er hat durchaus nicht
gestanden. Wir könnten sagen, er habe das Terrain sondiert. So, wie ich es
verstanden habe, wollte er nur eine Hypothese vorbringen. Wenn er ein
Geständnis ablegte, würde er dann entlassen werden? So in etwa.«
JETZT REICHT ES!!!
Der in Großbuchstaben beschriebene Zettel wurde vor Annmari Skar auf den
Tisch geknallt. Billy T. packte ihren Unterarm und drückte zu.
Das half.
»Danke«, sagte sie und lächelte den Richter verkrampft an.
Hanne Wilhelmsen riß ihre Jacke von der Reihe schmiedeeiserner Haken und
verließ den Saal. Als die Tür hinter ihr ins Schloß fiel, wußte sie nicht, wen sie am tiefsten verachtete: Karen Borg, Annmari Skar oder deren Zunft ganz
allgemein.
Billy T. war ebenso empört.
Er hatte gedacht, Hanne begehe einen Verrat. Aber dann war es Karen
gewesen. Mit der tatkräftigen Unterstützung einer Polizeianwältin, die er vor
einer Stunde ganz plötzlich begehrt hatte. Er zitterte, und ihm war schlecht.
Anwälte waren eitel. Das hatte er immer gewußt. Meistens lachte er über sie,
diese talartragenden, rotzwichtigen und allwissenden Hofschranzen Frau
Justitias. Sie konnten sich einfach nicht beherrschen. Wenn sie eine
Niederlage witterten, schlugen sie sofort zu. Wollten ihr Gesicht nicht
verlieren. Um keinen Preis. Wollten sich rächen. Feuer frei. Komm heraus!
Und jetzt hatte Hanne darunter leiden müssen.
Billy T. konnte beim besten Willen nicht erkennen, was durch Hannes Aussage
erreicht worden sein sollte. Niemand
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hatte etwas davon. Nichts war gewonnen und nichts verloren worden. Für
niemanden.
Außer für Hanne. Die hatte leiden müssen.
Er faltete die Hände, vor allem, um sie auf irgendeine Weise zu beschäftigen.
Als Annmari Skar ihn als Beisitzer gewünscht hatte, hatte er natürlich
zugesagt.
»Nie mehr«, fauchte er leise.
Es ging noch eine Weile weiter, und nichts Überraschendes wurde gesagt.
»Das Gericht ist der Auffassung, daß Sigurd Harald Halvorsrud mit triftigem
Grund der Übertretung von Paragraph 233,2. Absatz, des Strafgesetzbuches
verdächtigt werden kann, wie aus dem Haftbegehren hervorgeht.«
Richter Bugge diktierte langsam, und die Finger des Protokollführers
bewegten sich rhythmisch über die Tastatur. Der Richter betrachtete den
Bildschirm, der vor ihm in den Tisch eingelassen war, und sagte dann: »Das
Gericht verweist auf die polizeilichen Dokumente 2-2 bis 2-9, aus denen
hervorgeht, daß der Angeklagte in seiner Wohnung festgenommen worden ist,
wo seine Gattin Doris Flo Halvorsrud durch Enthauptung oder einen Schlag
gegen den Hinterkopf ermordet worden war. Es wird außerdem darauf
hingewiesen, daß sich die Fingerabdrücke des Angeklagten auf dem Schwert
befanden, mit dem das Verbrechen vermutlich begangen worden war. Des
weiteren legt das Gericht einiges, wenn auch nicht entscheidendes, Gewicht
auf die Tatsache, daß der Angeklagte die Polizei nicht unmittelbar nach dem
Verbrechen informiert hat. Das Gericht führt außerdem die Tatsache an, daß
die drei Kinder des Angeklagten und der Toten zum Mordtermin verreist
waren und daß in zwei Fällen diese Reisen auf die Initiative des Angeklagten
zurückgingen.«
Annmari Skar ließ sich unmerklich auf ihrem Stuhl zurücksinken. Billy T.
hörte ein leises Seufzen. Sie hatte ge
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wonnen. Er schaute zu Halvorsrud hinüber, der seit seinem Verhör absolut
bewegungslos dagesessen hatte.
»Das Gericht möchte aber auch betonen, daß der Verdacht gegen den
Angeklagten nicht sehr stark ist«, erklärte Richter Bugge jetzt. »Vor allem legt das Gericht Gewicht auf die Tatsache, daß die Polizei kein Motiv anführen
kann. Wir verweisen auf die polizeilichen Dokumente. . . «
Er verstummte für einen Moment und blätterte in den Unterlagen.
»...7-1 bis 7-7, aus denen eine Reihe von Einzeltatsachen hervorgeht, die
angeblich die Theorie untermauern, daß der Angeklagte sich in seinem Amt als
Oberstaatsanwalt für gesetzeswidrige Handlungen bezahlen ließ. Das Gericht
möchte darauf hinweisen, daß diese Behauptungen dermaßen
zusammenhanglos sind, daß ihnen wohl kaum Gewicht beigemessen werden
kann. Vor allem möchte das Gericht anführen, daß die Polizei bisher,
abgesehen von den hunderttausend
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