Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
Hauptkommissarin einem glatten Verrat.
Er ließ seine Augen durch den Saal wandern.
Jeweils in einer Ecke, unmittelbar vor der hüfthohen Absperrung vor den
Publikumsbänken, langweilten sich ein Polizist und eine Polizistin. Die
Polizistin, eine Frau mit kurzgeschorenen, gefärbten Haaren und viel zuviel
Schminke, schien einnicken zu wollen.
Halvorsrud dagegen schien seit Wochen nicht mehr geschlafen zu haben.
Karen Borg hatte ihm offenbar einen neuen Anzug besorgt. Er saß besser als
der alte, dunkle am Montag auf der Beerdigung. Das Hemd war blütenweiß
und frisch gebügelt. Es hätte Billy T. nicht überrascht, wenn Karen selbst am
frühen Morgen das Bügeleisen geschwungen hätte. Der Diamant im Schlips
war verschwunden, ein solches Detail konnte auf einen übellaunigen,
wütenden Richter zu leicht wie eine Provokation wirken.
Seine tadellose, diskrete Kleidung stand in einem scharfen Kontrast zu dem
Kopf, der über dem straff gebundenen Schlipsknoten aufragte. Der Hals hatte
durch den raschen Gewichtsverlust truthahnartige Falten geworfen. Die untere
Gesichtshälfte war schlaff und graubleich, mit tiefen Furchen auf jeder Seite
des eigentlich kräftigen Kinns. Uber den Augen zog sich eine Partie von
Blutergüssen dahin, wie eine Maske, die jemand in aller Eile aufgemalt hat.
Die Lippen bewegten sich kaum, wenn er etwas sagte. Die Wörter kamen
undeutlich, die Stimme war tonlos. Ab und zu preßte er sich ein Taschentuch
auf den Mund.
Halvorsruds Verhör dauerte seine Zeit.
Richter Bugge stellte selbst nicht sehr viele Fragen. Er
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überließ mit irritierten Handbewegungen das Wort den Juristinnen. Ab und zu
schien er nicht einmal richtig zu registrieren, was gesagt wurde. Billy T. wußte aber, daß das ein falscher Eindruck war, im ganzen Gerichtsbezirk gab es
kaum einen konzentrierteren Richter als Birger Bugge. Die ausbleibenden
Beförderungen hatte er seinem schwierigen Wesen und seinem
unfreundlichen Umgangston zu verdanken.
Endlich hatte Halvorsrud alles gesagt. Nichts Unerwartetes war dabei
herausgekommen. Er beharrte auf seiner Unschuld. Er machte sich Sorgen um
seine Tochter. Er litt an einem blutenden Magengeschwür. Was der Polizei
alles bekannt war.
»Ich bitte um die Erlaubnis, ärztliche Atteste für Vater und Tochter
vorzulegen«, sagte Anwältin Borg im Frageton.
Richter Bugge nickte knapp, seufzte tief und streckte eine riesige Faust nach
diesen Papieren aus. Blitzschnell überflog er sie dann und reichte sie an den
Protokollführer weiter, der zugeknöpft und stumm auf seiner rechten Seite
saß.
»Außerdem bitte ich darum, Hauptkommissarin Hanne Wilhelmsen als
Zeugin aufzurufen«, fügte Karen Borg hinzu und blieb vor ihrem Stuhl stehen.
»Das ist aus. . . «
»Reichlich unüblich«, brummte Richter Bugge. »Was soll das ..«
»Euer Ehren«, fiel Annmari Skar ihm ins Wort und entdeckte zu spät, daß sie
damit einen Fehler begangen hatte.
»Wäre die Frau Polizeijuristin wohl so freundlich, das Gericht nicht zu
unterbrechen?« fauchte Richter Bugge.
Annmari Skar ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken.
»Worüber soll diese Wilhelmsen denn etwas sagen?« fragte nun der Richter
Karen Borg, die aus Verlegenheit über das Verhalten der Polizeijuristin die
Augen niedergeschlagen hatte.
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»Sie ist die polizeifachliche Ermittlungsleiterin, Euer Ehren, und ich glaube,
sie kann erhellen. . . «
»Erhellen«, quakte Richter Bugge. »Wir haben doch eine Juristin hier, die
erhellen kann, wie die Polizei die Sache sieht. Stimmt das nicht, Frau Skar?«
Annmari Skar erhob sich zögernd. »Doch, Euer Ehren, in höchstem Grad.
Außerdem ist es so, daß . . . «
Sie zögerte kurz und zog dann vor, die Erlaubnis zum Weiterreden
abzuwarten. Die erfolgte in Form eines heftigen Nickens, bei dem das
Doppelkinn des Richters ins Zittern geriet.
»So, wie ich es sehe, hat Anwältin Borg keine Handhabe, um
Hauptkommissarin Wilhelmsen auf normale Weise vorzuladen. In dem Grad,
in dem Wilhelmsen vor Gericht aussagen kann, muß ihre Erklärung entweder
in einer Darstellung der Ermittlungen oder deren Fortschreiten bestehen. Ich
sehe durchaus nicht ein, daß das nicht durch meine eigene Darstellung und
durch eventuelle Hilfe durch meinen Beisitzer geschehen kann.«
Sie zeigte auf Billy T.
»Ansonsten möchte ich sagen, daß ich sehr stark auf Anwältin Borgs
Vorgehensweise reagiere. Wenn sie es für nötig hält, die Hauptkommissarin zu
befragen,
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