Holunderblut
Unrecht urteilen musste, so positiv den Menschen und dem Leben entgegenzutreten.
Eigentlich hatte er gehofft, hatte er sich vorgestellt, hatte er geplant – nun ja, was soll’s.
Also hatte er Francesca eingeladen.
›Carmen‹ hinterließ bei Lucarelli stets ein Gefühl der Befreiung. Befreiung, egal, was sie koste, und koste sie das Leben, die Liebe. Befreiung. Freiheit.
Obwohl Carmen ein furchtbares Ende findet und Don José aufgrund verschmähter Liebe dieses Ende durch einen Dolch selbst herbeiführt. Tragisch im Grunde! José liebt Carmen, aber ihr ist die Freiheit wichtiger, und sie wirft ihm seinen Ring vor die Füße, was für eine Geste.
Lucarelli stellte sich Katharina als Carmen vor, aber das Leben war keine Oper, und eine Beretta war kein Dolch, aber es schmerzte genauso sehr. Was half da besser, als sich mit Francesca noch ins Nachtleben in Trastevere zu stürzen?
Sein Handy hatte er der Oper wegen lautlos gestellt, undanschließend hat er auch nicht mehr aufs Display geschaut, ob ihm irgendein Anruf entgangen sein könnte.
Stattdessen haben ihn Francescas Geschichten und der Wein des »Ristorante Sabatini« einen wunderbaren Abend lang von seinem Kummer befreit.
ZWEJFE
Meine Güte, das kann doch nicht sein, hat sich die Katharina gedacht, als sie das Läuten von ihrem Telefon nicht mehr länger in ihre Träume einbauen hat können. Sie hat schlaftrunken nach dem Handy gegriffen und versucht, die Uhrzeit zu erkennen. Kurz nach fünf Uhr morgens!
003 9-Lucarellis Nummer auf dem Display. Und jetzt? Drangehen? Nicht drangehen? Vielleicht ist was passiert?
»
Pronto
?«
»
Cara
…«, hat sie ihn lallen hören. Ja, erst die Ignorier-Masche abziehen und dann das!
»
È successo qualcosa
?«
»
Cosaa
?«
»
Sai che ore sono
?«, hat sie ihn gefragt, ziemlich unterkühlt. Weißt du, wie spät es ist?
»Meine Schönste wo bissu?«
Completamente ubriaco!
»Es ist fünf Uhr morgens, und ich bin im Bett. Hast du getrunken?«
»Ein bisschen.«
»Zu viel!«
»Su viel.«
»Und? Wo bist du?« Im Hintergrund Kneipengeräusche. Und eine Frauenstimme, die mit ihm sprach.
»Wir warnin der Oper.«
»Sehr schön, und wer ist
wir
?«
»Francesca unich.«
»Interessant.« Scheiße. Was soll das? »Weißt du was,Matteo? Ich glaube, ich bin nicht halb so interessiert an
Francesca
wie du. Viel Spaß noch mit ihr. Ich denke, wir beenden dieses Telefonat jetzt. Gute Nacht.« Und dann hat sie aufgelegt, ohne auf ein Antwortlallen zu warten.
Jetzt war sie wach, auch schon egal, und stocksauer, und als es wieder geläutet hat, hat sie das Handy einfach ausgeschaltet.
Francesca
. Scheiße. Aber so hätte er es ihr nicht sagen müssen. Besoffen um fünf Uhr morgens.
Sie ist in ihre Sandalen geschlüpft, hat sich eine Wolljacke über das Nachthemd gezogen und ist raus vor die Türe. Und hinein in den Kuhstall. Weil um Viertel nach fünf war der Peter längst schon am Kühemelken. Und ein bisschen Stallgeruch und der warme Dampf von den Kühen und der Anblick von einem netten Mann würden ihr jetzt guttun.
Mit zusammengebissenen Zähnen hat sie ihre Wut und Enttäuschung hinuntergeschluckt, sich an den Türstock des Stalleingangs gelehnt und dem Peter bei der Arbeit zugeschaut, bis der sie bemerkt hat und gesehen hat, dass sie weint. Und dann haben die Kühe warten müssen, weil der Peter auch gleich gesehen hat, dass die Katharina sofort auf der Stelle ganz dringend eine ganz lange und tröstende Umarmung braucht.
»Magst mir ned verzojn, was los is?« Der Peter hat ein paar Frühstückseier in die Pfanne gehauen, ein bisschen einen Speck dazu, und Brot hat er auch ganz frisches mitgebracht gehabt von drüben, vom Hof.
Um sechs Uhr morgens kann man auch einmal was Ordentliches frühstücken. Hell ist es ja auch schon geworden, und der Peter war schon seit zwei Stunden wach.
Aber frisch war es in der Früh, da hat er erst einmal den Kachelofen angeworfen in der Katharina ihrer kleinen Küche im Austrägshäusl, und dann ist der Katharina auch schon ein bisschen wärmer geworden.
»Bist immer no ned ganz fit, oder?«, hat er jetzt noch einmal nachgehakt.
»Auch. Aber –«
»Den ganzen Tag warst unterwegs, gestern«, hat der Peter bemerkt, »und des, obwohl du erst vorgestern ausm Krangahaus auße bist.«
»Die habn a Auto gfunden, im Derdorfer Weiher«, hat die Katharina gesagt.
»I woaß.«
»An Jaguar E-Type .«
»Vom Altmann, i woaß.«
»Und oana is
immer
no am Steier
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