Holunderblut
drei junge Kerle auf Russisch oder Tschechisch oder Polnisch gestritten haben, da hat sich wieder ihr Bauchgefühl gemeldet.
Als sie dann zu Hause war, hat sie aufgrund von ihrem Bauchgefühl das einzig Richtige gemacht, was man Freitag nach neun Uhr abends als krankgeschriebene Polizistin und Freizeitermittlerin machen kann, der die Informationen gerade über den Kopf wachsen, der ihr zudem fürchterlich dröhnt. Zum Ausgleich sozusagen.
Sie hat ihr Handy angesteckt und endlich ihren dahergelogenen italienischen Ehemann angerufen, dem sie am Montag versprochen gehabt hat, dass sie ihn gleich zurückruft. Noch während sich die Verbindung aufgebaut hat, hat sie darüber nachgedacht, wie sie es geschafft hat, trotz ihrem schlechten Gewissen das Telefonat immer wieder hinauszuschieben. Und über das Warum hat sie auch nachgedacht. Weil vielleicht war er enttäuscht, dass sie nicht angerufen hat. Aber
er
hätte es ja auch probieren können. Wenn man jemanden liebt, also
falls
, dann kann man ihn doch auch einmal anrufen, selbst wenn man eigentlich nicht an der Reihe ist. Noch nie hat er irgendetwas von Liebe gesagt, ist es der Katharina jetzt aufgefallen. Wahrscheinlich war sie ihm egal, und er hat sie, bis zum Hals in Arbeit, einfach vergessen. Und sie? Wie eine Blöde ist sie ihm jetzt hinterhergelaufen. Warum eigentlich?
Freizeichen.
Freizeichen.
Freizeichen.
Jetzt hat sie sich gerade ein bisschen geärgert, weil er es ihr nicht ermöglicht hat, dass sie schnell ihr schlechtes Gewissen durch einen Pflichtanruf erleichtert.
Warum hab ich eigentlich das Gefühl, dass ich einen Pflichtanruf mache?
Nach acht Freizeichen ist eine italienische Ansage vom Band gekommen,
SMS vocale Vodafone, messaggio gratuito. La persona chiamata non è al momento disponibile. Per inviare un SMS vocale parli dopo il segnale acustico e poi riagganci. Info e costi al numero gratui-
Und jetzt hat die Katharina aufgelegt und sich gleich noch mehr geärgert. Weil jemanden zu ignorieren, ist kindisch, und auf kindische, saudumme Spielchen hat sie gerade überhaupt keine Lust gehabt.
Durch das Ärgern war das Kopfweh wieder voll da, und so ist sie ins Bett gegangen, mit Kopfschmerzen, Ärger und unverdauter Information über einen oder mehrere Kriminalfälle, von denen sie aufgrund ihrer Krankschreibung und noch mehr aufgrund ihrer nicht vorhandenen Zuständigkeit eigentlich die Finger hätte lassen sollen.
EJFE
27 Grad waren es immer noch, und über Rom hatte sich ein Sternenhimmel gebreitet, dass man sich hätte fragen können, wie so ein schwaches Leuchten längst verglühter Himmelskörper überhaupt den Großstadtsmog durchdringen kann.
Matteo Lucarelli war noch ganz bewegt und ergriffen von der Vorstellung, als er auf die Via delle Terme di Caracalla trat, über die sich riesig die Pinien zu beiden Seiten des Straßenrandes aufschirmten. Stimmen, Lachen, das Hupen der Taxis, die Luxuskarossen, die die Ehrengäste einsammelten, um sie zu ihren Dinnerreservierungen zu fahren. Die Terme di Caracalla waren ein würdiger Hintergrund für die Werke großer Komponisten.
Wie ›Carmen‹, das sie diesen Spätsommer dort gaben. Gott sei Dank hatte er vor Monaten schon geistesgegenwärtig die Tickets geordert, da war schon fast alles ausgebucht gewesen. Große Musik vor fantastischer Kulisse unter offenem Himmel in der Ewigen Stadt.
Das zweite Ticket hatte er demonstrativ verfallen lassen wollen, aber dann hatte Francesca angerufen, sie sei in der Stadt,
l’urbe
, wie der Römer auch heute noch genauso stolz sagt wie vor 2000 Jahren, leider nur für ein paar Tage, dann müsse sie wieder zurück nach Genf. Ob er Zeit habe? Aber ja, er hatte nicht nur Zeit, sondern auch zwei Operntickets, ob sie Lust habe? Aber sicher, immer ein Vergnügen, Matteo zu beobachten, wie er sich von einerOper verzaubern ließ,
certo
, ich komme mit, und kein Problem, du kannst gerne bei mir übernachten, es sei denn, du ziehst den Zimmerservice in einem Hotel vor? Francesca, lieber einen starken Caffè frühmorgens bei dir.
Dass sie immer noch ihre teure Wohnung an der Piazza di Santa Maria in Trastevere hielt!
In Ordnung, eine wunderschöne Wohnung, tolles Ambiente, und die Lage, man kann nichts sagen. Aber als Zweitwohnsitz ein gewisser Luxus, wenn man sie selten nutzt, wie Francesca es tat.
Francesca war immer eine schöne Ablenkung, immer gut gelaunt, immer so voller Leben, keine Ahnung, wie sie das machte, als Richterin, die über so viel
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