Holunderblut
ungelösten, unlösbar scheinenden Kriminalfallim Hinterkopf, und wenn man sich wochenlang vermisst hat, dann liebt man sich manchmal umso mehr.
Und immer noch, wenn die Sonne längst aufgegangen und der Tag angebrochen ist, und immer noch, wenn der Bauernsohn längst die Kühe gemolken und den dunklen teuren BMW aus Italien bemerkt hat, der da auf dem Hof parkt.
Aha, Besuch aus Italien, hat sich der Peter gedacht und geahnt, dass die Frau seiner Träume vielleicht auch die Frau der Träume eines anderen ist. Irgendwie hat er es ja schon längst gewusst. Weil die Katharina recht traurig gewesen ist die ganze letzte Zeit.
Und jetzt war
er
dran mit ein bisschen Traurigsein, da war es schon recht tröstlich, frühmorgens im dampfigen Stall zu stehen, die Hände auf das kurze borstige Fell einer warmen Kuh zu legen und den Geruch von der frischen Milch zu riechen, der sich mit dem Duft vom Heu und vom Stroh und dem Kuhmist vermischt. Und die Kuh würde bald kalben, und da war er ganz nah am Leben, an
seinem
Leben. So ist das Leben, und manchmal bleiben gebrochene Herzen irgendwo am Wegesrand über, und trotzdem geht es weiter.
VIERZEHN
Um kurz vor zwölf ist die Katharina dann aufgeschreckt, ob es die blendende Sonne war oder das Klopfen an der Haustür unten, das hat sie gerade nicht einordnen können, weil ihr furchtbar schlecht gewesen ist, zu wenig Schlaf, rasende Kopfschmerzen, Kreislaufschwäche.
Der Matteo ist immer noch da gewesen, also kein Traum, was sie für den kurzen Moment, den sie sich nimmt, bevor sie sich in ihr Gewand wirft, sehr genießt. Ihn anzusehen, wie er schläft. Ihn zu küssen und das feine Stechen seiner Bartstoppeln auf ihren Lippen zu spüren.
Vor der Tür ist der Peter gestanden, ihr schlechtes Gewissen sozusagen, und hat gesagt: »Duad mir leid, wenn i di aufgweckt hab – aber i kimm mitm Bujdog ned an dem BMW vorbei.«
Und mit diesem kurzen Satz hat er eigentlich auch gleich gesagt, dass er alles verstanden hat und dass es ihm wehgetan hat, und die Katharina hat ihn in den Arm genommen und gedrückt, aber er ist nur dagestanden und hat sie nicht zurückumarmt. Sondern nur ganz leise und ruhig gesagt: »I glaab, des lasst jetz besser bleibn.«
»Mir redn spaada mitanand, okay?«, hat die Katharina geantwortet. Und hat ihn losgelassen, den BM W-Schlüssel geholt und den Wagen auf die Seite gefahren. Die Italiener – parken wo und wie es ihnen einfällt.
Und weil es schon Mittag war und die Essenseinladung vom Brunner auf eins festgesetzt war und seine Frau, dieResi, gern pünktlich ein warmes Essen auf den Tisch gestellt und gar nicht gern gewartet hat, hat die Katharina es jetzt recht eilig gehabt. Und mit ihrem Tagesprogramm ist sie jetzt direkt nach dem Aufstehen schon mindestens drei Stunden im Verzug gewesen. Also noch vor dem Duschen Caffè aufsetzen, Brunner anrufen.
»Jetz hab i scho denkt, dass du im letzten Moment no absagst, Kathi! Wo die Resi an so an guadn Sauerbraten im Rohr hat, i sag’s dir.«
»Naa … nix von wegen Absage, was denkst du vo mir?«, hat die Katharina gleich zurückgespielt. »Im Gegenteil, Josef. Kannt i noch jemand mitbringa?«
»Jetz samma
eh
scho mehra … ja guad, warum ned. Wer kimmt denn mit?«
»Mei …« Jetzt, was sagen?
»Dei Freind?« Der Brunner ist ja schon immer recht schnell und gut im Vervollständigen der Sätze anderer gewesen, das ist wie bei einer Befragung Verdächtiger, die muss man auch ab und zu verbal anschieben.
»Sozumsagn. Ja.«
»Und wer
is
des jetz?«
»Und warum klingt des bei dir immer wiar a Verhör, Josef? Und was hoaßt eigentlich,
mir sand eh scho mehra
?«
»Mei Nichte kimmt aa, mit ihrm Freind, hoaßt des. Der Resi ihr Sauerbraten is ihr Leibspeis.«
»
Wer
? Welche
Nichte
?«
»Ja, sag amoi, Kathi, stehst jetz aufm Schlauch oder was? Die
Anni
hoit.«
»
Was
?!«
»Ja unser’ Anni hoit. D’Fischhaber Anni. Des woaßt doch!«
»Naa, woher sojt i des wissen?« Und jetzt hat sich die Katharina plötzlich erinnert, was ihr an der Fischhaber Anni an ihrem ersten Tag in der Polizeidienststelle in Weil beinahe aufgefallen wäre, und zwar die Brunnersche Familienähnlichkeit. Und an dem Gedanken war noch mehr dran, und das hat sie gar nicht mehr losgelassen, weil irgendwas war an dem Altmann-Fall, das sie genauso übersehen hat. Und jetzt war ihr Bauchgefühl wieder da, und das waren nicht nur die Hände auf ihrem Bauch, Matteos Hände, der sie von hinten umarmt und in den Nacken
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