Holunderküsschen (German Edition)
nicht mit dem Hintergedanken, dass ich mich vielleicht wieder scheiden lassen könnte. Wenn ich eine Ehe eingehe, dann ist es für die Ewigkeit. Die Kirche sieht das ja ein bisschen anders: „Bis dass der Tod euch scheidet.“ Wohin dieser Satz geführt hat, weiß man spätestens seit König Heinrich dem Achten, der seine Frauen einfach zum Tode verurteilen ließ wenn ihm nach einer neuen Frau g e lüstete.
Das Telefon klingelt erneut. Meine Mutter. Das hat mir gerade noch gefehlt! Aber wenn ich nicht abnehme, wird sie das Telefon die nächsten zwei Stunden klingeln lassen.
„Hallo Mama.“
„Julia. Was bist du nur für ein undankbares Kind“, platzt siegleich heraus.
„Bitte?“
„Ich habe gerade mit Johann gesprochen und der klang überhaupt nicht glücklich. Er sagt, du hättest am Telefon so distanziert geklungen.“
„Kein Wunder, wenn im Hintergrund Titten-Annette zu Besuch kommt.“
„Julia, was ist denn das für eine Ausdrucksweise?! Schließlich ist Frau Annette Gerber de i ne Kollegin und da ...“
„Gewesen“, unterbreche ich sie.
„Ach, jetzt sei doch nicht so kleinlich.“
„Ich bin nicht kleinlich, es ist eine Tatsache, dass diese Frau nicht mehr meine Kollegin ist! Erstens arbeite ich nicht mehr bei Hartmann & Sohn und zweitens ist sie der Grund, warum J o hann und ich nicht mehr zusammen sind. Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, war sie nackt! Da kann einem schon mal der Respekt flöten gehen.“
„Aber du sollst vorausschauend denken und nicht so negativ! Wenn du so weiter machst, wird das nie was mit euch werden.“ Das ist nun wieder typisch!
„Mama, du bist meine Mutter und nicht die von Johann. Du solltest auf meiner Seite stehen und nicht Johann verteidigen!“
„Aber Süße, so ist das doch gar nicht gemeint. Ich will doch nur dein Bestes. Schließlich ist Johann der zukünftige Chef von Hartmann & Sohn . Eine bessere Partie wirst du in ganz Freiburg nicht finden.“ Sie macht eine Pause. „Bedenke doch nur die gesellschaftliche Stellung, die du durch eine Hochzeit mit Johann innehalten würdest!“
Manchmal denke ich, meine Mutter nimmt heimlich Drogen. So kann nur ein Mensch r e den, der total blöd oder völlig zugekifft ist.
„Mama, diese Hochzeit wird es nicht geben“, versuche ich es mit Nachdruck. „Johann ist mit Ti ... äh, Frau Gerber zusammen. Ich sehe nicht, wo ich da noch hineinpasse.“
Meine Mutter seufzt laut. „Meine Güte, dass du immer so schnell aufgeben musst. Das hast du schon als Kind gemacht. Immer gleich die Flinte ins Korn werfen, wenn es nicht gleich so läuft wie du es dir vorgestellt hast. Nein, nein, Julia, so geht das nicht! Wenn du etwas im Leben erreichen willst, musst du dafür kämpfen.“
„Mama, das hat nichts mit aufgeben zu tun. Johann hat mich betrogen.“
„Dein Vater hat mich auch betrogen und trotzdem sind wir noch zusammen.“
„Waaaas?“ Ich halte die Luft an.
„Schätzchen, reg dich nicht gleich so auf. Die Sache ist schon Jahre her. Außerdem hat sich dieser Seitensprung deines Vaters als äußerst lukrativ herausgestellt.“
„Hä?“ Ich verstehe nur noch Bahnhof. „Wie kann sich ein Seitensprung als lohnenswert e r weisen?“
„Du kennst doch meinen Memoire-Ring?“
„Meinst du den, den dir Papa vor ein paar Jahren zum Beweis seiner unendlichen Liebe g e schenkt hat?“ Mir schwant Dunkles.
„Genau. Und von wegen als Beweis seiner unendlichen Liebe. Pah! Eher als Beweis seiner Schuld . “
„Du meinst, Papa hat dir den Memoire-Ring als Wiedergutmachung geschenkt?“
„Allerdings!“
„Wie taktvoll von ihm. So wirst du den Betrug niemals vergessen.“ Ich schüttele fassung s los meinen Kopf. „Und du hast ihm verziehen?“ Ich bin völlig geschockt . M ein braver Vater soll meine Mutter betrogen haben? Umgekehrt vielleicht, aber so ...
„Ach, weißt du Julia , d ein Vater und ich sind jetzt seit fast 35 Jahren verheiratet . D a weiß man, was man aneinander hat. Diese Frau damals hat ihm nichts bedeutet.“
„Hast du denn nie daran gedacht ihn zu verlassen?“
Schweigen.
„Mama?“
„Nein.“ Ihre Stimme klingt entschlossen. „Im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich nicht ganz unschuldig an der ganzen Sache war. Ich war so mit mir selbst beschäftigt, dass ich übe r haupt nicht gemerkt habe, wie dein Vater auf seine Midlife -K rise zugesteuert ist.“ Sie macht eine Pause. „Aber wir haben es geschafft. Bitte erwähne deinem Vater gegenüber nichts. Ich möchte
Weitere Kostenlose Bücher