Holunderküsschen (German Edition)

roten Faden zusammengebunden hat. Der legend ä re Griechenlandurlaub, wo ich mich von einer Insel zur nächsten gekotzt habe. Ich breche in ein lautes Kichern aus und nehme einen Schluck aus meinem Glas. Meine Güte, sind die Gläser so klein oder habe ich einen guten Zug? Jedenfalls ist die Flasche schon halb leer. Plötzlich fällt mein Blick auf eine Fotoreihe, die während der Motto-Tage in der Schule, nachdem wir unser schriftliches Abitur hinter uns gebracht hatten, entstanden ist.
    Alle Abiturienten sind im Stil der Siebziger gekleidet. Meine Haare sehen aus wie der Wischmopp meiner Mutter: lang und kraus. Mal ehrlich! Wie konnten mich meine besten Freu n de nur so rumlaufen lassen? Ich muss unbedingt mal mit Katja darüber reden. Als beste Freundin wäre es ihre Pflicht gewesen, mich vor solch modischen Fehltritten zu bewahren. Gott sei Dank gibt es dieser Tage Harald!
    Katja sieht mit ihrem Mittelscheitel und den Blümchen im Haar wie eine echte Hippiebraut aus. Wir tragen beide Schlaghosen. Ich kann mich noch genau an das Geräusch erinnern, wenn die weitausgestellten Hosenbeine beim Gehen aneinander schlugen. Flapp. Flapp. Hiermit schw ö re ich, dass ich nie wieder Schlaghosen oder, noch schlimmer , Karottenhosen tragen werde. Nie, nie, niemals wieder! Huch, wer ist denn das?
    Das ist doch ... Ich kneife die Augen zusammen, um die Gestalt im Hintergrund besser e r kennen zu können. 
    Na klar. Das ist Christian Lüchow. Der gute alte Chris.
    Chris war der Einzige aus meinem Kunst -L eistungskurs, der es wirklich drauf hatte und zeichnen konnte. Obwohl Chris nicht mein Typ war , mochte ich ihn immer ganz gerne. Mit Chris konnte man so herrlich tiefschürfende Gespräche über Kunst führen und dabei sündhaft teuren Rotwein trinken, den Chris zuvor aus dem Weinkeller seines Vaters gemopst hatte. Chris einziges Ziel im Leben war ein anerkannter Künstler zu werden. Geld verdienen gehörte in seiner Welt eher zu den Nebensächlichkeiten. Jedenfalls war Chris der Einzige des gesamten Kunstkurses, der Bilder zustande brachte, die es verdient hatten als Kunst bezeichnet zu werden. Ich betrachte das schmale blasse Gesicht mit den dunklen Augen, die verträumt in die Kamera blicken. Und dann diese Rasta -L ocken!
    Chris Besuch stürzte meine Mutter damals in eine echte Krise. In ihren Augen sind Me n schen wie Chris poten z ielle Drogenabhängige, die nichts B esseres im Sinn haben als ihre kostb a re Tochter mit sich ins Verderben zu reißen. Das letzte Mal als Chris und ich uns getroffen haben, sind wir buchstäblich im Supermarkt ineinander gelaufen. Auf den ersten Blick habe ich ihn kaum wiedererkannt. Die Rasta -L ocken und der Ziegenbart waren ab. Stattdessen hatte er die Haare ordentlich zu einem Zopf zusammengebunden und gewährte mir so das erste Mal einen freien Blick auf sein Gesicht, während er sich abmühte meine auf den Boden des Supermarktes verstreuten Lebensmittel aufzuheben. In unserer kurzen Unterhaltung an der Penny -Kasse haben wir auf die Schnelle die wichtigsten Neuigkeiten seit dem Abitur ausgetauscht. Ich versuche mich bei einer neuen Hand voll Gummibärchen daran zu erinnern. Hatte Chris nicht erzählt, dass er nur zu Besuch in Freiburg ist und eigentlich in Hamburg wohnt? Chris war ganz aufgeregt wegen eines neuen Projekts, das er in Planung hatte . Irgendwas mit Marokko und Sandmalerei...
    ... Mmh ...
    ... könnte Christian vielleicht??
    ... N ein!
    ... O der doch?
    ... Warum eigentlich nicht?
    Die Sache würde wie die Faust aufs Auge in unsere Afrika-Ausgabe passen. Oh Gott, wo habe ich nur seine verdammte Telefonnummer gelassen? Ich neige dazu Zettel an Stellen zu l e gen wo ich sie garantiert niemals im Leben wieder finden werde. Ich erinnere mich genau an das Stückchen Papier, worauf er mir seine Nummer geschrieben hat. Wo habe ich das Teil nur hing e tan? Jetzt wo ich die Nummer so dringend bräuchte. Hektisch springe ich auf und wühle in den Untiefen meiner Tasche, um meinen Planer zu finden. Hey, da ist ja der Lipgloss von MAC , den ich schon seit Wochen suche. Die Farbe, ein leichter Lachs -T on, steht mir ganz ausgezeichnet. 
    Ah, da ist er ja – mein wunderbarer Moleskin -Planer. Mein gesamtes Leben steht in diesem unscheinbaren, kleinen schwarzen Büchlein. Aufgeregt schlage ich es auf. Eigentlich bin ich was das Übertragen von Adressen von einem Jahr auf das nächste betrifft immer sehr genau.
    L wie ... Laube Inken. Ach herrje , die blöde Kuh. Ich wusste gar