Holunderküsschen (German Edition)
sie jetzt so eine nichtsagende Maus mit der Ausstrahlung einer Schlaftablette vor die Kamera geholt. Ich habe nach der Hälfte der Sendung ausgeschaltet und das ist mir noch nie passiert.“
„Ich denke nicht, dass Miriam sich mit dir über die neue Moderatorin von Vox Tours unte r halten möchte“, unterbricht mich Katja. „Du solltest deine Zeit nicht für so einen Blödsinn ve r schwenden.“
„Judith Adlhoch ist kein Blödsinn!“
„Nein“, seufzt Katja betont laut, „aber in deinem Fall nicht das r ichtige Thema .“
„Wahrscheinlich hast du recht“, jammere ich.
„Weißt du was?“
Ich kann förmlich sehen, wie Katja mich erwartungsvoll durch den Hörer anstarrt.
„Nein.“
„Sieh dir doch die alten Bilder von unseren Reisen an. Vielleicht bringt dich das auf eine Idee.“
„Die von unseren Urlauben?“
„Nein, die von unserem letzten gemeinsamen Pornodreh auf Mallorca ... ja, natürlich die von den Urlauben.“ Katja klingt gestresst. Das tut sie eigentlich immer, wenn sie im Büro ist.
„Hast du die Bilder hier in der Wohnung?“
„Klar. Jede Menge. Sind alle in der weißen Kiste gleich rechts neben dem Regal. Aber bitte pass auf, dass du sie nicht alle durcheinander bringst. Ich habe Wochen gebraucht bis ich sie chronologisch geordnet hatte.“ Katja und ihr Ordnungsfimmel. Alles muss irgendwie geordnet werden. Man stelle sich vor, sogar ihre DVDs und CDs sind namentlich und nach dem Ersche i nungsjahr geordnet.
„Versprochen. Du kennst mich doch.“
„Eben weil ich dich kenne!“
„Du bist meine Freundin, da erwarte ich schon etwas mehr Toleranz“, halte ich fröhlich d a gegen.
„Die Beste, die du kriegen kannst, aber das heißt nicht, dass ich deine Unordnung schwe i gend ertragen muss.“ Katja flüstert leise etwas in den Raum, woraus ich folgere, dass sie Besuch bekommen hat. „Mach ´ s gut! Ich muss weiter machen, bevor mein Projektleiter mich mit Blicken tötet.“
Sie hängt ein und ich hole mir erst einmal eine Tüte Gummibärchen.
9. Julias Facebook Status: Warum hat mir niemand gesagt, wie schrecklich ich damals ausgesehen habe!?
Eine Tüte Gummibärchen später steht die Kiste mit den Bildern vor mir auf dem Bett. Katja hat die Bilder nicht nur chronologisch geordnet, sondern auch noch die Flugtickets, Reiseführer und Telefonnummern mit beigelegt. Ich breite alles vor mir auf dem Bett aus und öffne den Ro t wein. Nicht, dass ich vorhabe die Flasche alleine auszutrinken, aber ein Glas Rotwein hat meiner Kreativität bisher noch nie geschadet – ganz im Gegenteil. Ich nehme das erste Bild aus der Ki s te. Katja und ich vor einer Hütte im Stubaital. Meine Güte! Ich mit Zahnspange. Wie habe ich dieses silberne Monstrum gehasst!
Ich war fünfzehn, als mir meine Eltern beziehungsweise der Zahnarzt meiner Eltern die Zahnspange verpasst haben. Ich glaube es gibt für ein Mädchen kein ungünstigeres Alter als fünfzehn, um eine Zahnspange zu tragen. Nach jedem Essen sah ich aus, als hätte ein plötzlicher Moosbewuchs auf meinen Zähnen stattgefunden und meine Aussprache klang wie aus einem Lehrbuch für Lispler. Schrecklich! Ausgerechnet in jenem Urlaub hatte ich mich unsterblich in meinen Skilehrer verliebt, der den legendären Namen Elmar Dotterweich besaß. Jedenfalls wu r den meine Beine bei seinem Anblick dotterweich . W as zur Folge hatte, dass ich ständig von den Skiern fiel und von meinen Mitschülern als völlig untalentiert abgestempelt auf der Hütte der Mittelstation zurückgelassen wurde. Katja bot sich selbstlos an bei mir zu bleiben, wurde jedoch von Elmar verpflichtet weiter mit ins Tal abzufahren. Was keiner meiner Klassenkameraden ah n te war, dass genau diese Hütte zur Mittagszeit eine der beliebtesten Treffpunkte im gesamten Tal war. Eine Stunde nach meinem schändlichen Ausscheiden aus der Gruppe , fand ich mich von lauter Jugendlichen umringt wieder. Unter ihnen Sepp. Man hätte sich Sepp mit seinen blonden von der Sonne ausgebleichten Haaren und den blitzblauen Augen auch locker als Nordsee-Rettungsschwimmer vorstellen können. Als Sepp mich das erste Mal anlächelte, wurde mir ganz warm ums Herz. Sepp war Zahnspangenträger wie ich. So ein Schicksal verbindet und nur knapp eine halbe Stunde nach unserem Kennenlernen lag ich bereits in Sepps Armen und verhakte me i ne Zahnspange mit seiner.
Ach, das waren noch Zeiten! Ein wenig schwermütig lege ich das Bild zur Seite und greife nach einem Stapel Fotos, den Katja mit einem
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