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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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nicht ein Kräutlein in einem historischen Nachbau eines mittelalterlichen Klostergartens. Das ist nur eine fixe Idee von dir.«
    »Ist es nicht!«, rief Simon. »Ich habe keine Ahnung, wie ich dich dazu bringen kann, mir zu glauben, oder wie du deine vermeintlichen Eltern dazu bringen kannst, dir endlich die Wahrheit zu sagen. Aber wenn es von uns beiden einen gibt, der nicht weiß, wovon er redet, dann bist du das.«
    Er deutete auf das feuchte Taschentuch, das ich immer noch in der Hand hielt. »Und ich habe wirklich nicht auf Anhieb gewusst, worum es sich bei dieser Pflanze handelt. Oder wer du bist. Aber nachdem wir uns das letzte Mal gesehen haben, ist es mir auf einmal klar geworden. Ambrosia gab es nie bei meinen Vorfahren, das war immer nur ein Geheimnis der Reichenauer Hebammen. Und ich habe keine Ahnung, warum Christine ausgerechnet dein Auftauchen zum Anlass genommen hat, dieses Zeug in den Hortulus zu werfen. Aber sie hat es getan …«
    »So, so, Christine ist schuld. Wer ist das überhaupt?« Kopfschüttelnd drehte ich mich um. »Und das todbringende Kraut wächst schon seit ewigen Zeiten auf der Reichenau, es hat nur keiner gewusst, wo? Was für ein Schwachsinn!«
    »Jetzt hör mal zu, Lena. Hier auf der Insel gibt es eine Familie, deren Frauen seit Jahrhunderten Hebammen werden – und Christine ist eine davon. Sie können helfen, wo es sonst niemand kann. Aber was sie verwenden und wie sie es anbauen, das war immer schon ihr Geheimnis. Bitte glaub mir, es bringt Unglück, danach zu forschen.«
    »Ja«, erwiderte ich trocken. »Ich habe nicht alles verstanden, aber diese drei Blättchen, die nicht einmal giftig sind, haben offensichtlich den Tod meiner Eltern verantwortet. Und den Tod deiner Eltern. Und offensichtlich haben dann noch die Killerhebammen der Reichenau ihre Hände im Spiel. Um ehrlich zu sein, verstehe ich kein Wort von dem, was du sagst. Du redest in Rätseln, und ich habe keine Lust mehr auf Rätsel in meinem Leben. Und genau deswegen nehme ich jetzt dieses Kraut und fahre zu meinen sehr lebendigen Eltern. Und du solltest versuchen, dein Leben wieder in den Griff zu bekommen, Simon.«
    Damit ließ ich ihn einfach stehen und machte mich auf den Weg zum alten Golf meiner Mutter. Ich öffnete die Tür, setzte mich hinter das Steuer und bettete meine Beute auf den Beifahrersitz. Dann machte ich mich auf den Weg nach Hause. Ich fuhr über die schmalen Straßen der Insel bis zu dem zauberhaften Damm mit seiner Allee. Diesmal raste ich über ihn hinweg, ohne auf seine Schönheit zu achten. Die vorbeifliegenden Bäume und das glitzernde Licht zwischen den Stämmen weckten für einen Augenblick merkwürdig fremde Bilder bei mir. Aber ich hatte keine Lust auf fremde Erinnerungen und die Gefühle von Verlust, Schmerzen und Angst.

22.
    E inige Stunden später parkte ich das Auto in der Einfahrt vor dem Haus meiner Eltern. Endlich Ruhe. In meinem Kopf hatten sich seit meiner Flucht von der Reichenau die Gedanken überschlagen. Simon hatte beim Kennenlernen so ruhig und besonnen gewirkt, warum nur faselte er jetzt plötzlich wirres Zeug von meinen angeblich verunglückten Eltern und einem Geheimnis, das die Inselhebammen seit Jahrhunderten bewahrten? Und was steckte eigentlich hinter dieser Pflanze, die angeblich das lang gesuchte Ambrosiakraut war und urplötzlich im Nachbau des Hortulus aufgetaucht war?
    Ich versuchte mich zu erinnern, wann Simon plötzlich seine Fassung verloren hatte. Als ich ihn nach dem Tod seiner Eltern gefragt hatte? Oder erst nachdem ich ihm den Fund im Hortulus gezeigt hatte?
    Die Antwort auf meine vielen Fragen blieb ich mir selber schuldig. Durch das geöffnete Autofenster flatterte ein leuchtend gelber Schmetterling, setzte sich auf das Lenkrad und bewegte langsam seine Flügel. Es gab keinen Zweifel mehr: Der Frühling war in den letzten Tagen mit aller Macht eingezogen. Vorsichtig nahm ich den Schmetterling auf meinen Zeigefinger und hob ihn ins Freie. Dann schulterte ich meine Tasche und lief durch das Gartentor, das sich seit eh und je nur mit viel Kraft und unter quietschendem Protest öffnete. Ein Klang, der sicherer wirkte als das Läuten an der Haustüre.
    In diesem Moment kam meine Mutter mir aus dem Garten entgegen. Sie strahlte über das ganze Gesicht und schloss mich in ihre Arme. Ich sog ihren typischen Geruch ein: Sie duftete nach den Broten, die sie selber backte, nach Sonne und Erde aus unserem Garten. Einen kurzen Moment schloss ich die Augen.

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