Holunderliebe
wussten. Sein Blick suchte den ihren, aber sie starrte auf die Tischplatte und knetete ihre schmalen Finger.
»Sicher, ich wusste nur nicht, dass Hemma und ich … Aber ein Kind ist doch etwas Wunderbares!«, rief Thegan aus, der erst jetzt richtig begriff, was Routger ihm da gesagt hatte. »Wir sollten uns freuen, ich werde es auch sicher anerkennen, das ist doch selbstverständlich …«
Er wollte eigentlich weiterreden, aber Routger unterbrach ihn, indem er mit voller Wucht auf die schwere Tischplatte schlug. »Das mag ein freudiges Ereignis sein, wenn es sich um eine Frau aus einer anderen Familie handelt. Aber nicht bei Hemma! Sie ist gebaut wie ihre Mutter, ein wahres Ebenbild von ihr. Und diese Frauen können keine Kinder bekommen, ohne mit ihrem Leben dafür zu bezahlen. Verstehst du das nicht? Hemma wird an dem Kind in ihrem Bauch sterben! Und daran können weder du noch deine Freunde drüben im Kloster etwas ändern! Du hast meine Tochter dem Untergang geweiht!« Der große Mann wirkte verzweifelt. »Dabei habe ich alles getan, um meine Hemma von den Männern fernzuhalten. Es war mir egal, dass meine Tochter mich regelmäßig beschimpft hat, mir erklärt hat, dass sie nicht als alte Jungfer sterben wollte. Ich habe dafür gesorgt, dass sie nicht so jämmerlich wie ihre Mutter im Kindbett sterben muss.« Er deutete auf das Bett in der Zimmerecke. »Auf diesem Lager hat sie gelegen. Hat geschrien, bis sie nicht mehr schreien konnte. Geblutet, bis kein Blut mehr in ihr war. Und am Ende, als sie ihr Leben verloren hat, war es eine Gnade. Die Hebamme hat ihr Hemma aus dem Leib geschnitten, damit wenigstens das Kind überlebt. Sie hätte sie besser mit ihrer Mutter sterben lassen sollen, dann stünde ihr jetzt nicht das gleiche Ende bevor.«
»Das ist doch noch nicht sicher«, widersprach Thegan. »Bestimmt können wir sie retten. Es könnte doch sein, dass sie aus einem ganz anderen Holz geschnitzt ist als ihre Mutter …«
»Blödsinn!«, schnitt Routger ihm das Wort ab. »Hemma sieht aus wie ihre Mutter. Blass, zart, schmal. Warum sollte es ihr leichter fallen, Kinder auf die Welt zu bringen, als ihrer Mutter und ihrer Großmutter, die beide bei der Geburt des ersten Kindes gestorben sind? Ich hätte Hemma besser ins Kloster bringen sollen, um sie zu retten – aber wahrscheinlich hätte sich selbst hinter den Klostermauern ein Narr wie du gefunden, der sie in Schwierigkeiten bringt.«
»Warum hast du mir nur nie etwas gesagt, Vater?«, fragte Hemma plötzlich. »Zeit meines Lebens war ich der Meinung, dass du einfach nur ein selbstsüchtiger Esel bist, der mich als Haushälterin missbraucht. Ich konnte doch nicht ahnen, dass du einfach nur Angst um mein Leben hast.« Tränen liefen über ihr Gesicht. »Warum nur hast du mir nicht genug vertraut, um mir die Geschichte meiner Mutter zu erzählen?«
»Wann hätte ich es dir denn sagen sollen? Als du ein Kind warst? Du hättest womöglich alle Lebensfreude verloren – und ich fand es so schön, wie du strahlend durchs Leben gegangen bist und alle Hindernisse einfach missachtet hast. Du hast dir deinen eigenen Weg gesucht, das hast du immer getan … Doch das hat dazu geführt, dass dieser Weg bald beendet ist.«
»Das muss doch nicht so sein! Es könnte doch sein, dass die Hebammen etwas gefunden haben, um Frauen zu helfen.« Hemma wandte sich an Thegan. »Du bist doch mit diesem Kräutermönch befreundet, diesem Walahfrid. Hast du nicht gesagt, dass er in seinem Garten gegen jedes Gebrechen ein Kraut hat? Dann wächst dort doch bestimmt auch etwas, das mir helfen kann. Es ist so lange her, dass meine Mutter gestorben ist, da hat sich doch so viel verändert …« Ihre Stimme wurde leiser. »Aber warum hast du mir nie gesagt, was wirklich bei meiner Geburt geschehen ist? Ich hätte dich so viel besser verstanden!«
»Und was hätte das genutzt?« Routgers Stimme klang bitter, als er sich schwer auf die Bank fallen ließ. »Hättest du verstanden, warum ich dich vor allem beschützen möchte? Das denke ich nicht. Du bist so voller Lebensfreude – genau wie deine Mutter es war. Auch sie hat nicht daran geglaubt, dass der Fluch ihrer Familie sie heimsuchen würde. Als er dann über sie kam, war es zu spät.«
»Was …« Thegan zögerte. »Was passierte denn genau?«
»Sie hat so viel Blut verloren, dass sie zu schwach für die Geburt war. Ihre Lebenskraft lief einfach aus ihr heraus, da konnte auch die Hebamme nichts ausrichten. Sie hat nur
Weitere Kostenlose Bücher