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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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recht.«
    Sie schwieg einen Moment, als wollte sie in sich hineinhorchen. Dann schüttelte sie den Kopf, holte noch einmal tief Luft und sah ungläubig nach unten. Eine helle Flüssigkeit lief an ihren Beinen herunter und bildete auf dem Boden eine Lache. Hemma verharrte einen Augenblick. Dann murmelte sie: »Schickt nach der Hebamme.«
    Thegan sah sie an und spürte, wie seine Beine für einen Augenblick fast nachgaben. Da war er also. Der Moment, den er so sehr gefürchtet hatte und von dem er selbstverständlich immer gewusst hatte, dass er kommen würde. Schnell ging er die wenigen Schritte zu der immer noch regungslos dastehenden Frau. Er nahm sie behutsam in die Arme, strich ihr über den Kopf und erklärte: »Ich werde sie holen.« Er sah Routger kurz an und erklärte nur: »Pass du so lange auf sie auf.«
    Thegan wickelte sich erneut in seinen Umhang und trat wieder hinaus in die Finsternis. Er hatte in seinem elterlichen Haus bei der Frau seines Bruders und beim Gesinde genügend mitbekommen, um zu wissen, dass es noch eine Weile dauern konnte, bis das Kind da war. Geburten bestanden meist aus langem Warten und Stunden der Untätigkeit. Besonders bei Frauen, die ihr erstes Kind zur Welt brachten, war das so gewesen. Er musste sich also auf keinen Fall über Gebühr beeilen, um die Hebamme zu holen.
    Die Nacht war stockdunkel, das einzige Licht kam von der Schneedecke, die unberührt dalag und leicht glitzerte. Der Pfad lag unter dem Schnee verborgen, und immer wieder musste er zum Seeufer und zur Hochwart hinüberblicken, um sich zu versichern, dass er auf dem richtigen Weg war. Ein Tier kreuzte seinen Weg, und er war sich nicht sicher, ob es sich nur um eine große Katze handelte oder um einen Marder, der in der Nacht nach Beute suchte. Er dankte seinem Herrn, dass auf dieser Insel nicht mit größeren Raubtieren zu rechnen war. Trotzdem fühlte er sich unbehaglich – und als ein Ast mit einem lauten Knacken unter der Schneelast brach, fuhr ihm der Schrecken bis tief in die Glieder, und sein Herz setzte für einen Schlag aus. War das nicht die erste der Raunächte, in denen die Hexen ohne Heimat durch die Lande strichen?
    Er hastete weiter – und tauchte in das kleine Wäldchen ein, in dessen Mitte das kleine Haus der Hebamme stand. Augenblicke später klopfte er an die Tür. Nichts rührte sich. Erneut klopfte er, heftiger dieses Mal. »Lasst mich in Ruhe!«, erklang endlich die Stimme der jungen Frau, die hier lebte.
    »Hemmas Zeit ist gekommen!«, rief Thegan und hämmerte noch einmal gegen die schwere Holztür.
    »Kein Grund, meine Tür zu zerschlagen, ich komme ja schon«, hörte er Bertrada von innen. Sie öffnete die Tür und bat ihn mit einer Kopfbewegung herein. »Verzeiht meine misstrauische Begrüßung, aber in diesen Tagen kommt immer wieder ein Schwachkopf aus dem Dorf auf die Idee, dass man mich vertreiben müsse, weil ich mit den bösen Mächten unter einer Decke stecke. Da stelle ich mich gerne schlafend und lasse alle glauben, dass ich just in dieser Nacht bei einer Geburt bin und einer Frau in ihrer Not beistehe.«
    Sie trug nur ein weißes Hemd, das ihr bis zu den Knöcheln reichte, ihr Haar fiel in dicken, dunklen Locken über die Schulter. Thegan sah verlegen zur Seite, während die Hebamme sich mit ein paar schnellen Strichen eines Kammes durchs Haar fuhr, es flocht und die Zöpfe schnell hochsteckte. Sie bemerkte sein Unbehagen erst jetzt.
    »Hätte ich dich draußen im Schnee warten lassen sollen?« Ihre Stimme klang spöttisch. »Du hast deiner Hemma das Kind gemacht, da wirst du hoffentlich auch schon einmal eine Frau mit offenen Haaren gesehen haben.«
    Sie griff nach einem dicken, wollenen Oberkleid und zog es über ihr Unterkleid, in dem sie wohl geschlafen hatte. Dann erst wandte sie sich ab und machte sich an ihren Beinkleidern zu schaffen, während Thegan sich vor den Ofen stellte und seine Hände wärmte. »Warum wollen sie dich vertreiben?«, fragte er.
    »Du bist noch nicht so lange auf dieser Insel, das merkt man«, erklärte sie, während sie ein Schultertuch über ihr Hemd legte und an ihrer Taille feststeckte. »Die Menschen hier haben zwar ihren Gott und beten mit den Mönchen. Aber sie können auch von den alten Göttern nicht lassen und glauben, dass in diesen Nächten Wotan mit seinem Gefolge unterwegs ist. Da hat man Angst – und hin und wieder tut es den Ängstlichen gut, wenn sie jemanden finden, der an allem schuld ist. Dafür sind Hexen bestens

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