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Holundermond

Holundermond

Titel: Holundermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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Holzer das unterschrieben hat?«
    »Ich weiß es nicht«, wisperte Nele, »aber mir gefällt das überhaupt nicht. Die vier Gegenstände, ein Kelch, ein Schwert, das Tablett und der Engel. Und dann die vier Elemente: Luft, Feuer, Erde und Wasser.« Verständnislos schaute Flavio sie an. »Die Elemente, sie werden oft Symbolen zugeordnet. Nicht umsonst trägt der Hüter des Feuers ein Flammenschwert«, erklärte sie. »Der Engel symbolisiert die Luft, eine Scheibe steht meistens für die Erde, das könnte also das Tablett sein …«
    »Und der Kelch für das Wasser«, ergänzte Flavio aufgeregt. Nele nickte und zeigte wieder auf den Text. »Die vier Elemente! Und hier, die Himmelsrichtungen. Und die Engel Gottes, das sind die Erzengel, die Hüter der Elemente.«
    »Und was soll der Quatsch mit dem Auge des Evangeliums?« Flavio war immer noch skeptisch. Nele biss sich auf die Lippen. »Warte. Ich brauch mal Jans Notizbuch.« Sie zerrte sich den Rucksack von den Schultern und wühlte darin herum. Da, endlich hatte sie gefunden, wonach sie suchte. Aufgeregt blätterte sie durch die Seiten, bis sie auf die Zeichnung mit der Windrose stieß.
    »Hier!« Nele hielt Flavio die Windrose unter die Nase. »Die vier Himmelsrichtungen, weißt du noch? Und die komischen Buchstaben!« Flavio zuckte gleichgültig mit den Schultern.
    »Die Buchstaben! Verstehst du denn nicht? Das Evangelium! M, M, L und J. Das sind die vier Evangelisten. Matthäus, Markus, Lukas und Johannes!«
    »Matthäus, Markus, Lukas und Johannes? Die vier Apostel?« Flavio starrte Nele an.
    »Ja, die vier, die das Evangelium aufgeschrieben haben.«
    Flavio riss Nele das Büchlein aus der Hand.
    »Gib mir einen Stift, schnell.« Bevor sie etwas sagen konnte, hatte er den Text in Jans Notizbuch abgeschrieben. »Los, hilf mir, wir müssen uns beeilen!« So schnell es ging, rollte Flavio das Pergament wieder zusammen und legte es zurück in die Vitrine. Nele deckte das schwarze Tuch wieder darüber und hoffte, Holzer würde nichts merken.
    »Los, komm schon!« Ungeduldig stand Flavio an der offenen Bürotür.
    Im Laufschritt verließ er Holzers Büro. Nele hatte Mühe, in der Dunkelheit mit ihm Schritt zu halten.
    »He, warte!«, keuchend rannte sie hinter ihm her. »Warum hast du es auf einmal so eilig?«
    »Wir müssen zur Kirche!« Flavio rannte auf die Straße, zögerte kurz und wandte sich dann nach links.
    »Zur Kirche? Jetzt? Was sollen wir jetzt im Kloster?«
    »Nicht zum Kloster! Wir müssen zur Mariahilfer Kirche! Verstehst du denn nicht? Der vierte Gegenstand! Das Schwert! Wir müssen verhindern, dass Holzer es stiehlt!«

26
    Jan rieb sich die Wange. Trotz seiner misslichen Lage empfand er Genugtuung darüber, dass Holzer gestern seinen versteckten Hinweis an Nele ein paar Sekunden zu spät bemerkt hatte.
    Der Historiker hatte ihm wutentbrannt das Handy aus der Hand geschlagen und ihm einen Fausthieb ins Gesicht versetzt. Aber das Übermitteln der Botschaft hatte er nicht mehr verhindern können. Er hoffte nur, dass Nele ihn überhaupt verstanden hatte.
    Sein Gesicht fühlte sich an, als sei ein Lastwagen darübergefahren. Die Bitte um einen Eisbeutel oder ein paar Schmerztabletten hatte Holzer ihm hämisch lachend abgeschlagen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als die Schmerzen auszuhalten. Ab und zu presste er seine linke Gesichtshälfte an die kühle Steinmauer, um sich so wenigstens ein bisschen Linderung zu verschaffen.
    Gegen Nachmittag gesellten sich zu dem dumpfen Pochen in der Wange noch dröhnende Kopfschmerzen und Jan rannte in seiner Zelle auf und ab wie ein Tiger im Käfig. Wenn er nur irgendetwas tun könnte, um sich bemerkbar zu machen.
    Holzer war zuletzt früh am Morgen bei ihm gewesen. Irgendetwas musste passiert sein. Obwohl der Historiker äußerlich vollkommen ruhig und gelassen gewesen war, hatte Jan doch erkennen können, dass ihn etwas sehr aufgebracht hatte. Ob ihm endlich jemand auf die Spur gekommen war? Jan wagte es nicht, nach seiner Tochter zu fragen, aus Angst, Nele unnötig weiteren Gefahren auszusetzen. Holzer hatte ihm nur ein paar Scheiben Brot und einen Krug Wasser auf den Nachttisch geknallt und war ziemlich schnell wieder verschwunden.
    Inzwischen wurde es dunkel in der Zelle und Jan fand sich langsam damit ab, dass heute wohl niemand mehr kommen und ihn hier rausholen würde.
    Er rollte die dünne Decke, die auf der Pritsche lag, zu einer stabilen Stütze und schob sie sich unter den Kopf. Er bezweifelte, dass

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