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Holy Shit

Holy Shit

Titel: Holy Shit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf-Bernhard Essig
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verzichten.

    Das brachte La Hire, der zum engen Kreis der späteren Heiligen gehörte, jedoch nicht fertig. Jeanne d’Arc erlaubte ihm daraufhin, denselben Ersatzfluch wie sie zu verwenden: »Par mon martin!«, was wohl »Bei meinem Stock!« hieß, wie Zeitgenossen und Historiker vermuten. Manche überliefern ihren Ausruf auch als »Par mon baton!«
    Selbst der gottgesandten Kämpferin war es also nicht möglich, ganz aufs Dampfablassen zu verzichten, und sie erlaubte Ausweichformeln, um den Namen Gottes, der Heiligen, Christi, der Jungfrau Maria und das Seelenheil des Schimpfenden zu schützen.
    Man kann Fluchen also durchaus eindämmen, den Impuls umleiten, die Ausdrücke abmildern, aber ganz verhindern lässt es sich nicht.

Der Nutzen des Schimpfens als Kulturtechnik
    Im Anfang stand die Überzeugung, durch Wörter Macht auszuüben. Man konnte damit schon in archaischer Zeit allmächtigen Gewalten wie Wetter oder Tod etwas entgegensetzen. Das spielte einerseits im Alltag der Menschen eine große Rolle, andererseits in ihren Mythen, die oft von Flüchen, Verwünschungen und ihren Auswirkungen handelten. Ein Fluch wie der Tantaliden- oder Atridenfluch der griechischen Mythologie half, das Schicksal mancher Menschen zu erklären und das anderer zu reglementieren; nach dem Motto: »Halte dich an (göttliche) Gesetze, sonst ergeht es dir und deinen Nachfahren dreckig!«
    Auch hoffte man schon immer auf den Fluch als Blitzableiter: Wer flucht, schlägt nicht. Diese Hoffnung ist berechtigt, doch ganz so einfach funktioniert das nicht. Schließlich provoziertauch der verbale Schlagabtausch durchaus zum realen. Das geschah beispielsweise im antiken Rom so häufig, dass sich ein Sprichwort herausbildete: »A verbis ad verbera«, »Von Wörtern zu Schlägen«.
    Gleichwohl bietet die Artikulation von Schmerz, Wut oder Enttäuschung mit Hilfe von Kraftausdrücken schon einmal eine Möglichkeit, zu reagieren, ohne gleich handgreiflich zu werden. Jugendliche, die heute in Diss-Battles (siehe 13. Kapitel) ihre Kräfte messen, imitieren damit übrigens in gewisser Weise die uralten Schmährededuelle der Helden, die in vielen Mythen vorkommen. Mehrfach wurde in Experimenten, wenngleich mit nur wenigen Probanden, nachgewiesen, dass die Erlaubnis, lautstark zu fluchen, Schmerzen und Qualen länger ertragen lässt. In einem Versuch sollten Teilnehmer ihre Hand in eiskaltes Wasser halten. Wer fluchen durfte, hielt signifikant länger aus als die, denen es verboten worden war. Die Alltagserfahrung bestätigt es: Wer heftig flucht, lenkt sich von Schmerzen und anderen negativen Empfindungen ab.
    Tabuwörter dienen außerdem sehr wirkungsvoll der Verstärkung von Aussagen. Mit dem inflationär eingesetzten »fuck« zeigt sich etwa im Englischen, wie ein einzelnes Wort eine ganze Palette von Gefühlen ausdrücken kann. »You’re looking fucking gorgeous!« ist insofern unbedingt als Kompliment zu verstehen.
    Wie man fluchen und damit seine negativen Emotionen zeigen darf, unterscheidet sich von Kultur zu Kultur, von Land zu Land. Es gibt dabei sogenannte Displayrules, die extrem früh gelernt und individuell nur wenig verändert werden können. Einfach gesagt, lernt ein durchschnittlicher Japaner schon im Babyalter, seine Wut nicht zu zeigen, und er wird sie in der Öffentlichkeit auch später in aller Regel unterdrücken, weil ihm diese kulturelle Norm in Fleisch und Blut übergegangen ist. In einem psychologischen Experiment zeigte sich die langfristige Prägung im frühesten Kleinkindalter: Teilnehmerähnlicher Schicht und Bildung wurden gebeten, Emotionen zu zeigen, und dabei fotografiert. Der einzige Unterschied zwischen ihnen: Die einen hatten eine irische, die anderen eine finnische Großmutter. Die Aufnahmen der Probanden wurden einer großen Zahl weiterer Studienteilnehmer gezeigt, die fast zu hundert Prozent richtig entschieden, wer auf dem Bild finnische, wer irische Wurzeln hatte. Im Norden zeigt man Emotionen mit traditionell wenig Mimik, im Westen mit sehr viel. Das bewirkt auch beim Fluchen deutliche Unterschiede. Der kulturelle Vorteil? Emotionen können in einer Gesellschaft, die sich offenbart, in der Regel rascher und klarer gedeutet werden.
    Dass eine Abgrenzung von allen irgendwie Fremden oder von allem »Bösen« durch Beschimpfen die soziale Normierung und Nivellierung einer Gesellschaft unterstützt, muss auch erwähnt werden, handelt es sich hierbei auch um einen eher fragwürdigen Kulturvorteil.

5.

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