Holz und Elfenbein
war als ob er zu jeder Zeit Henrys Blicke in seinem Rücken spüren würde. Und er wusste, dass er nicht etwa paranoid war, sondern dass Henry wahrscheinlich genau dies tun würde.
Alexis hätte gehen sollen, genau in jenem Moment als er den anderen Mann in der Menge ausgemacht hatte. Warum war er dann nicht gegangen?
Irgendwo schlug eine Turmuhr gerade Mitternacht als Federico die Straße entlangging. Er gähnte und fragte sich, ob Alexis und Catherine schon wieder von ihrem Empfang zurück waren. Federico war froh, dass er abgelehnt hatte sie zu begleiten. Mit Sicherheit war sein gemeinsamer Abend mit Claude viel entspannter und lustiger gewesen als dieser snobistische Empfang in irgendeinem Nobelhotel am Genfer See. Federico wusste nicht einmal, wie er sich in so einer Gesellschaft verhalten sollte. Über was unterhielt man sich dort? Ganz zu schweigen davon, dass er keinen so eleganten Anzug wie Alexis besaß und seinen Frack, den er früher zu den Klavierkonzerten getragen hatte, den konnte er ja schlecht anziehen.
Er grinste, aber Alexis hatte schon verdammt gut ausgesehen heute Abend. Gerne hätte er seinen Freund von dieser Kleidung befreit und ihn dann mit ins Bett genommen. Da bereute er fast den Entschluss so lange mit Alexis keinen Sex zu haben wie Catherine bei ihnen wohnte. Federico war bei diesem Gedanken einfach nicht wohl. Schließlich schliefen sie beinahe Tür an Tür und mit Sicherheit hätte sie es gehört, falls Federico oder Alexis etwas eifriger bei der Sache wären.
Um diese Zeit war auf den Straßen nicht mehr viel los und so vernahm Federico umso deutlicher den charakteristischen Klang eines Sportwagens, der ein paar Meter weiter gerade um die Kurve bog. Vielleicht war es sogar Alexis. Federico beschleunigte seine Schritte und als er gerade einen Fuß auf die Straße gesetzt hatte, um sie zu überqueren, jagte ein weiterer Wagen um die Ecke, eines dieser monströsen geländetauglichen SUVs. Wäre Federico etwas weiter auf der Straße gestanden, dieser Irre hätte ihn womöglich glatt umgefahren. Verärgert wünschte er dem rücksichtslosen Fahrer einen platten Reifen und setzte dann seinen Weg fort.
Um so überraschter war er als er genau diesen SUV in der Nebenstraße vor Alexis‘ Wohnung stehen sah. Sollte er nachsehen, ob der Fahrer noch drin saß und diesem mit einer Anzeige drohen? Auch wenn dies ein sinnloses Unterfangen war, irgendwie war Federico danach. Doch bevor er sich in Bewegung setzen konnte, bog Alexis um das Haus, anscheinend kam er direkt aus der Tiefgarage. Selbst aus gut fünfzig Meter Entfernung konnte Federico Alexis‘ energischen Schritt erkennen. Es war unterdrückte Wut, die ihn mit einer herrischen Handbewegung an die Scheibe des parkenden SUVs klopfen ließ.
Langsam näherte sich Federico dem fraglichen Auto, dem jetzt ein Mann entstieg und der Alexis‘ gesamte Wut zu spüren bekam. Alexis sprach irgendetwas, doch war es zu leise als das Federico es verstehen konnte. Es musste wohl jemand sein, der ebenfalls Gast auf dem Empfang gewesen war und Alexis schien ihn zu kennen. Wenigstens waren die beiden so vertieft in ihr Gespräch – nein, man nannte es wohl besser Streit – dass ihnen Federico nicht auffiel, der sich ein paar Meter entfernt an die Hauswand lehnte und lauschte.
»Was fällt dir überhaupt ein uns nachzufahren?«
»Ich muss mit dir reden.«
»Warum? Da gibt es nichts mehr zu reden, verdammt noch mal!« Alexis musste schon sehr aufgebracht sein, dass er so zu fluchen begann.
»Aber ich liebe...«
»Oh Gott... Henry, jetzt fang nicht wieder damit an«, unterbrach Alexis den anderen und Federico riss überrascht die Augen auf. Henry, etwa der Henry? Alexis‘ Ex? Nein, das wäre doch ein ziemlich großer Zufall. Oder nicht?
»Du warst nur ein Fick, nichts weiter.« Es war ein merkwürdiger Kontrast solche derben Worte zu hören, die in einem feinsten Oxford English hervorgebracht wurden.
»Nur ein Fick, wirklich? Damals hast du dich ein bisschen anders geäußert.«
»Damals wusste ich auch noch nicht, was für eine fiese, verlogene Fotze du bist.«
Zufall Hin oder Her, es handelte sich wohl doch um besagten Henry.
»Denkst du nicht auch manchmal noch an unsere gemeinsame Zeit?«
»Noch nicht einmal in meinen Albträumen. Was erwartest du eigentlich? Läuft die Scheidung so schlecht für dich und du rennst mir deshalb nach? Würde mich ja nicht wundern, wenn deine Frau dich jetzt ausnimmt. Du musstest ihr ja wohl sagen, wer ich
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