Holz und Elfenbein
hektischen Bewegung den Ärmel ihres Pullovers vor die Nase bevor sie noch den Teppichboden in Mitleidenschaft zog.
Federico reichte ihr ohne weitere Worte ein Taschentuch.
»Danke.« Ihre Stimme klang merkwürdig und nicht nur, weil sie sich die Nase zuhielt. »Das liegt in der Familie. Wir bekommen alle Nasenbluten, wenn wir Stress haben.«
»Und ich dachte, bei Alexis liegt es daran, dass er zu sehr an mich denkt.« Zwar hatte Federico noch nie erlebt, dass Alexis Nasenbluten bekommen hätte, doch es war das erste Mal, dass ihn Michelle nicht dumm anmachte, wenn er mit ihr sprach. Catherine hatte ihm erst jüngst erklärt, dass man in Japan Nasenbluten mit lüsternen Gedanken in Verbindung brachte. Mit Sicherheit wusste dies auch Michelle.
Sie verstand in der Tat und brachte ein schmales Lächeln zu Stande.
»Setz dich hin, ich hole dir etwas Eis.«
Wenig später saß er neben Michelle auf deren Bett und hielt ihr ein Handtuch, in welches er ein paar Eiswürfel eingepackt hatte, in den Nacken.
»Danke, es wird schon besser.« Sie fröstelte.
»Ist das Leben als Trainee so hart, dass du davon schon Nasenbluten bekommst?«
»Ich muss nächste Woche nach New York und muss mich noch gründlich vorbereiten. Es bleibt noch so viel zu tun.«
»Aber du sitzt doch schon den ganzen Tag vor deinem Schreibtisch. Was willst du noch alles tun?« Obwohl die Arme doch gerade ein paar freie Tage hatte, stand sie eisern jeden Morgen auf, saß in ihrem Morgenmantel bis zum Mittagessen am Schreibtisch, bearbeitete irgendwelche Berichte, las Bücher, schrieb an einer Abhandlung. Sie frühstückte nicht einmal, begnügte sich nur mit einem Glas Orangensaft. Federico hatte dieses alltägliche Ritual nun schon häufiger beobachtet und es sich zur Aufgabe gemacht ihr mal einen Toast, mal ein frisches Glas Saft oder eine Tasse Kaffee zu bringen. Es war seine Art gewesen ihr zu zeigen, dass er an einem halbwegs normalen Umgang miteinander interessiert war und ihr die früheren, schroffen Bemerkungen verziehen hatte. Außer mit einsilbigen Antworten hatte sie bis jetzt nicht reagiert.
»Außerdem überlege ich ob es richtig war und ob ich nicht doch besser an der Uni geblieben wäre.« Sie schüttelte den Kopf und prüfte, ob sie mittlerweile auf das Taschentuch verzichten konnte. Dem war so und dennoch blieb sie auf dem Bett sitzen und ließ die Schultern hängen.
»Komm, wir essen etwas.«
Er hatte nicht damit gerechnet, aber sie willigte ein und während sie beide an ihren Pizzen knabberten, führten sie das erste wirkliche Gespräch seit seiner Ankunft. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie beide alleine waren und wollte Michelle nicht wie ein Mönch mit Schweigegelübde ihre Pizza essen, musste sie sich wohl mit ihm unterhalten. Anscheinend schien sie jemand zum Reden zu benötigen und Federico musste nicht mehr tun, als zu nicken und unverbindliche Laute des Interesses zu äußern.
Sie war ihm eigentlich gar nicht so unähnlich und das sagte er ihr auch als er die Teller abgeräumt hatte.
»Wenn ich mich auf ein Konzert oder sonst ein wichtiges Vorspiel vorbereitet habe, war ich kaum ansprechbar. Habe jeden Tag bis zum Umfallen geübt und sogar das Essen darüber vergessen. Alexis meinte, bei ihm wäre es früher auch so gewesen.«
»Ja, ich erinnere mich noch daran, dass meine Eltern damit gedroht haben ihm seine Orgel wegzunehmen, falls er nicht kürzer tritt.« Sie verzog den Mund zu einem halbherzigen Lächeln. So langsam verstand Federico: Sie vermisste ihre Eltern mehr als sie zuzugeben bereit war. Sie stürzte sich in ihre Arbeit und vielleicht war dies nur ein Versuch sich von ihren Ängsten abzulenken. Dann war jetzt auch noch Catherine nach London gezogen, wo sie ihr Studium begonnen hatte. Alexis war ebenfalls die meiste Zeit fort und auch Mary-Alice war nicht hier. Alexis hatte ihm einmal gesagt, dass Michelle sehr an der älteren Schwester hing. So sehr wie Catherine an ihrem Bruder. Und zu allem Elend lebte jetzt ein Fremder statt ihrer Geschwister im Haus der Familie. Ja, er konnte sie schon verstehen.
Plötzlich meinte Federico: »Ich finde, du hast genug gearbeitet. Wir sollten nach London fahren.«
»Warum?«
»Es ist Samstagabend! Wir sollten einen drauf machen und durch die Bars ziehen. Unserem Alter entsprechend.« Als ob Federico der Typ war, der jedes Wochenende in den Bars verbrachte. Doch zugegeben er war schon lange nicht mehr aus gewesen und Michelle schien dringend eine Ablenkung
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