Holz und Elfenbein
dafür.«
»Natürlich ist es allein deine Entscheidung«, meinte Alexis nachdem Federico alles erzählt hatte, »aber ich habe es dir schon einmal gesagt: Egal was du tust, ich werde bei dir sein.«
Federico blickte ihn aus verweinten Augen an und Alexis legte ihm eine Hand an die Wange. Es fehlte nicht viel und er selbst würde beginnen zu weinen.
Als sie endlich wieder zu Hause waren, hatte sich Federico gleich auf sein Zimmer begeben. Er wollte weder mit Mary-Alice, noch mit deren Mann oder Alexis‘ Großmutter reden. Sollte doch Alexis den anderen erzählen, wie die Dinge standen. Er selbst kickte seine Schuhe in die nächstbeste Ecke und warf sich vollständig angezogen auf das Bett, presste sich das Kissen an das Gesicht und dachte, dass er nun erneut beginnen würde zu weinen. Doch dieses Mal waren die Tränen versiegt. Er fuhr sich durch die Haare und schloss erschöpft die Augen.
Eigentlich müsste er doch froh sein, immerhin gab es noch Hoffnung für ihn. Doch er hatte schreckliche Angst vor den Operationen, was wenn dabei etwas schief ging? Auch wenn Dr. Rhys-Weeks die Beste war, auch jemandem wie ihr passierten Fehler. Dann war alles verloren. Sie hatte ihn auch davor gewarnt, dass die Operation nicht den gewünschten Erfolg haben könnte, dann hätte er endgültig alles verloren. Vielleicht sogar noch das letzte Bisschen an Beweglichkeit und technische Fertigkeit, das er jetzt noch besaß. Und er würde mit seiner Chefin von der Musikschule sprechen müssen, falls er sich für die Therapie entschied, weil er dann keinen Unterricht mehr geben konnte. Und was sollte er dann überhaupt tun? Er hätte keine Aufgabe mehr, keinen Grund mehr am Morgen aufzustehen.
So viele Fragen gingen ihm durch den Kopf. Irgendwann war er eingeschlafen und wachte ziemlich desorientiert auf als er hörte, wie seine Zimmertür geschlossen wurde. Wahrscheinlich war es Alexis gewesen, der nach ihm geschaut und beschlossen hatte ihn weiter schlafen zu lassen.
Sollte er zu Alexis gehen? Vielleicht sollte er sich zuerst einmal ausziehen... und duschen wäre auch keine schlechte Idee. Doch bevor er diesen Plan in die Tat umsetzen konnte, war Federico erneut weggedämmert.
Um zwei Uhr nachts zog er sich dann endlich um und tappte im Pyjama durch das Haus. Er hatte Hunger bekommen und ging in die Küche. Mittlerweile brauchte er kein Licht mehr einzuschalten um den Kühlschrank ausfindig zu machen. Außerdem waren die Fensterläden nicht geschlossen worden und die Beleuchtung des Parks, der hinter dem Haus lag, war mehr als ausreichend um nicht gegen einen Stuhl oder eine Tischkante zu stolpern. Im Kühlschrank fand er noch zwei Stücke Kuchen und setzte sich damit an den Tisch, der die Mitte der Küche beherrschte und an dem wohl früher die Dienerschaft gegessen hatte.
Er aß mit der linken Hand und fand, dass er sich dabei ziemlich ungeschickt anstellte. Aber daran würde er sich wohl gewöhnen müssen, falls er demnächst seine rechte Hand im Gips haben würde.
Hieß das, dass er sich entschieden hatte? Federico seufzte und in der geräumigen, dunklen Küche war es ein merkwürdig lautes Seufzen. Versuchsweise trommelte er mit den Fingern auf die Tischplatte, tat so als ob er eine Tonleiter spielen würde, dann ein Pralltriller mit dem Zeige- und Mittelfinger. Das folgende schmerzhafte Einatmen tönte ebenso laut durch die Küche und er legte seine Rechte wieder in den Schoß. So war sie nicht mehr zu gebrauchen.
Es käme einem Wunder gleich, wenn er wieder so wie früher spielen könnte. Sofern die Operation an der rechten und linken Hand gelang und er auch die Physiotherapie durchzog. Was wollte er dann tun? Was für eine Frage. Federico wusste, dass es vermessen war, doch eigentlich würde er diese gesamte Therapie nur aufsichnehmen, um wieder an seine alten Erfolge und seiner Karriere als Starpianist anknüpfen zu können. War das zu weit gedacht? Zu optimistisch? War das überhaupt möglich?
So viele Fragen, wer konnte ihm darauf eine Antwort geben?
Er legte den Kopf auf den Tisch und störte sich nicht einmal daran, dass diese Haltung ihm einen steifen Hals einbringen würde. Doch er wollte noch nicht wieder auf sein Zimmer zurück und irgendwie hatte das Surren des Kühlaggregats und das leise Zischen des Heizungsventils auch etwas Beruhigendes. Es gab ihm das Gefühl nicht völlig allein zu sein.
Federico wusste nicht, wie lange er in die Dunkelheit gestarrt hatte als jemand den Lichtschalter betätigte.
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