Holz und Elfenbein
nehmen soll.«
»Es ist toll, dass er es so locker sieht.« Na, dass Claude diesen Standpunkt vertritt hätte Federico ja klar sein müssen.
»Ich für meinen Teil mag lieber einen Freund, der ausrastet, wenn mich jemand anderer anbaggert und mich dann nicht noch ermutigt auf den Flirt einzugehen.«
»Komm schon Fedri, nur weil du einmal eine schlechte Erfahrung mit einem Flirt gemacht hast.« Claude kicherte schon wieder. Natürlich wusste er von Federicos unfreiwilliger Erfahrung auf einer gewissen Londoner Toilette.
»Ich verstehe Alexis nicht. Er kann es nicht ausstehen, wenn man ihn belügt und er hat sich von seinem Ex getrennt als dieser ihn betrogen hat. Aber es wäre scheinbar okay für ihn, wenn ich einen anderen Mann vögle.«
»Wie du selbst sagst Federico, ›scheinbar okay‹. Er wäre auch eifersüchtig, da bin ich mir sogar ziemlich sicher. Aber es ist schon ein Unterschied, ob dich jemand betrügt oder beide Partner wissen, dass mal ab und zu jemand anderer mit im Bett ist.«
»So wie bei Jérôme und dir, was?«
»Uh«, druckste Claude herum. »Das...«
»Was? Seid ihr nicht mehr zusammen?«
»Er wollte wieder zu seinem Ex zurück. Ts, soll einer verstehen. Aber gut.«
Federico konnte sich bei diesen Worten förmlich das nonchalante Achselzucken vorstellen, das Claude jetzt machen würde. Da kam dann der waschechte Franzose durch.
In diesem Augenblick hörte Federico, dass Claude wohl nicht alleine war, denn eine andere Stimme wandte sich fragend an Claude und sofern Federico die Wortfetzen richtig verstanden hatte, bedankte sich dieser jemand dafür, dass er Claudes Dusche benutzen konnte und ob sie sich nach den Proben sehen würden.
Claude bat Federico kurz in der Leitung zu warten und verabschiedete erst einmal seinen Lover standesgemäß. Aber wie unglaublich war das denn?
»Du lässt aber auch wirklich nichts anbrennen! Gerade sagst du mir, dass mit Jérôme Schluss ist und was höre ich da? Wer war das?«, bedrängte er den anderen sofort als dieser wieder am Telefon war.
»Das... oh, Stéphane spielt auch im Orchester, ebenfalls Violine. Allerdings gehört er zu den ersten Geigen. Er wurde am Anfang des Semesters sogar zum Konzertmeister ernannt.« Claude sprach von dem Orchester des Konservatoriums, in welches er vor einigen Monaten als eine der zweiten Geigen aufgenommen worden war.
»Und jetzt schläfst du dich hoch bis du neben ihm bei den ersten Geigen sitzen kannst?«
»Also Fedri, das aus deinem Mund!« Doch Claude lachte vergnügt. »Es hat sich so ergeben.«
»Bei dir ergibt sich vieles einfach so.«
»Na ja, ich ergreife eben jede Gelegenheit die sich mir bietet.«
Das Telefonat mit Claude ließ Federico in beträchtlich besserer Stimmung zurück. Noch immer schüttelte er amüsiert den Kopf darüber, dass sich sein Freund einen neuen Lover angelacht hatte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es bald schon wieder Zeit fürs Mittagessen war. Außerdem hätte er schwören können, dass er Klavierspiel vernommen hatte. Hatte sich William etwa schon wieder vor den Flügel gesetzt?
Alexis hätte Federico am liebsten sofort zur Rede gestellt, hätte dieser nicht mit Claude telefoniert. Er hatte gedacht, dass Federico sich wie ein vernünftiger Mensch verhalten würde. Doch was hatte Alexis da entdeckt als er heute Morgen an den Flügel herangetreten war: Noten von Bachs Inventionen und eine Ausgabe des Hanons, eine altbewährte Sammlung von verschiedensten Etüden und anderen Übungen, die die Finger kräftigen und das Spiel des Pianisten insgesamt verbessern sollten. Alexis hatten den Hanon gehasst als er von seinem Klavierlehrer dazu verdonnert worden war die Übungen zu spielen. Es war eine durchaus langweilige Angelegenheit und nicht immer war ihm der Sinn klar gewesen. Natürlich sah er das heute anders und er war mehr als dankbar für seine gründliche Ausbildung am Klavier. Er könnte nicht diese wundervollen Dinge an der Orgel vollbringen, wenn er nicht jenen Grundstock an pianistischen Fähigkeiten hätte.
Aber was war nur in Federico gefahren, dass er Etüden spielte? Dieses Übungsbuch von Charles Louis Hanon war keineswegs unumstritten, manche Pädagogen hielten es sogar für kontraproduktiv und bei Gott, Federico war da mit Sicherheit ein prominentes Beispiel. Alexis war sich ziemlich sicher, dass Federico einer derjenigen Pianisten war, die den Hanon auswendig kannten und die Fingerübungen auch noch jeden Tag komplett durchspielten. Manche
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