Holz und Elfenbein
in den Sinn gekommen.
Es war jene Sonate von Beethoven, die Alexis für sein Examen vorbereitet hatte und über welche er und Federico sich damals gestritten hatten. Wie Federico hier den ersten Satz der Waldstein-Sonate auf den Flügel zauberte, führte Alexis seine eigene Unzulänglichkeit vor Augen. Jetzt verstand er, was Federico ihm hatte damals vermitteln wollen. Es war geradezu rauschhaft wie Federico sie spielte, virtuos und mit einem Witz, fast schon spitzbübisch als ob es für ihn überhaupt keine Schwierigkeit darstellen würde.
Nach der Hälfte des ersten Satzes brach er dann abrupt ab. Es war als ob Alexis aus einer Trance erwachen würde.
Ein leises, aber triumphierendes ›Ha!‹ war alles, was von Federico zu hören war, bevor er laut aufschluchzte. Die Hände vor den Mund geschlagen, um die Laute zu dämpfen. In zwei Sätzen war Alexis bei ihm und zog ihn vom Klavierhocker. Sie kauerten auf dem Boden und Federico konnte nur den Kopf schütteln.
»Hast du es gehört?«, fragte er unter Tränen und krallte die Hände in Alexis´ Mantel . Es waren Tränen der Freude, wie Alexis nun gewahr wurde. Ihm selbst kullerten inzwischen auch die Tränen über die Wangen.
»Es geht, es geht wieder!«, wiederholte Federico unablässig und lachte befreit.
Für Alexis´ Eltern musste es wohl ein schockierender Anblick gewesen sein als sie aufgeweckt durch den Tumult wenig später in den Salon kamen und dort Federico und Alexis fanden, die sich in den Armen lagen und sprichwörtlich Rotz und Wasser heulten. Doch Federico hatte ihnen allen und insbesondere sich selbst das schönste Weihnachtsgeschenk gemacht.
30
»Was mir eine gelungene Überraschung alles wert ist«, murmelte Alexis nun zum zehnten Mal und dabei war er noch nicht einmal auf der Autobahn angelangt. Gerade war er aus New York heimgekehrt und in Heathrow gelandet. Doch statt seine Rückreise anzukündigen, sodass ihn Gareth – oder vielleicht auch Federico – vom Flughafen abholen konnten, hatte er behauptet erst zwei Wochen später wieder nach England zu kommen. Deshalb hatte er sich einen Mietwagen nehmen müssen und einer unglücklichen Laune des Schicksals hatte er es zu verdanken, dass er nun in einem Gefährt saß, dass die Bezeichnung ›Auto‹ seiner Meinung nach gar nicht erst verdiente: Einen Smart!
Alexis war nun wirklich kein Autofreak, zumindest behauptete er das immer, doch ein Sportwagen war ihm da schon lieber als so eine Knutschkugel. Doch was er nicht alles tat um Federico zu überraschen. Der würde Augen machen! Alexis malte sich bereits Federicos Gesichtsausdruck in den lebhaftesten Farben aus. Sie hatten sich seit April nicht mehr gesehen und so lange waren sie immerhin noch nie getrennt gewesen! Natürlich hatte ihn Federico im vergangenen Dezember in den USA besucht. Sie hatten auch gemeinsam die Feiertage und den Jahreswechsel mit den Arrowfields verbracht. Was für ein Weihnachtsfest das gewesen war! Aber es war eine lange Zeit gewesen über die Sommermonate getrennt zu sein.
Im April hatte die ›Vorrunde‹ für den Chopin-Wettbewerb in Warschau stattgefunden. Federico war sehr unsicher gewesen, war es doch der erste öffentliche Auftritt nach seiner Zwangspause. Die Erwartungen der Musikkritiker waren entsprechend hoch gewesen und nicht wenige hatten sich nach Federicos Auftritt enttäuscht geäußert. Alexis hatte befürchtet, dass dies Federico gehörig aus der Bahn werfen würde. Doch der nahm die Kritik gelassen hin, er hätte sich auch bewusst nicht völlig verausgabt und hätte noch einen weiten Weg vor sich. Das war Federicos einziger Kommentar dazu und Alexis war darüber am meisten erstaunt gewesen, dass sein Freund es so gelassen sah.
Sicherlich war Federicos Vortrag in Warschau nicht schlecht gewesen. Er war sogar so gut gewesen, dass es für die Endrunde gereicht hatte, die nun in zwei Wochen stattfinden würde. Doch eine überragende Vorstellung, was man von einem Federico Batist eben erwartet hätte, war es nun einmal nicht gewesen. Seinen Status als Favorit hatte Federico jedenfalls schon längst abgegeben. Aber vielleicht war das auch ganz gut so. Denn dieser Druck würde nun nicht mehr auf Federicos Schultern lasten. Doch allein gemessen daran, dass Federico zunächst sogar Zweifel gehabt hatte, ob er für den Wettbewerb zugelassen werden würde, war nun die Teilnahme an der großen Endrunde, an der nur noch 80 Pianisten aus aller Welt teilnahmen, ein großer Erfolg.
Alexis fädelte sich in
Weitere Kostenlose Bücher