Holz und Elfenbein
Hoffnungslosigkeit in sich zusammen. Doch wenige Minuten später, waren sie beide eingeschlafen.
In einem dieser gefürchteten Klatschblätter, die üblicherweise in den Friseursalons für die Kundschaft auslagen, hatte Federico einmal gelesen, dass die Bücher auf dem Nachttisch einer Person viel über deren Persönlichkeit aussagen würden. Dies war zwar bestenfalls Psychologie für die Westentasche, Federico glaubte nicht, dass es wissenschaftliche Untersuchungen diesbezüglich gab, aber dennoch ein interessanter Gedanke.
Alexis hatte auf seinem Nachttisch zwar keinerlei Bücher stehen, aber dafür ein außerordentlich gut bestücktes Bücherregal im Wohnzimmer, das Federico während der letzten Tage genauer inspiziert hatte. Schließlich konnte er auch nicht jeden Tag endlos vor dem Fernseher versauern. Wenn es auch durchaus seinen Reiz hatte sämtliche Folgen von Dr. Who und Torchwood anzusehen und dabei original japanische Nudelsuppe zu schlürfen. Dies waren die verspäteten Weihnachtsgeschenke von Alexis‘ Schwestern gewesen.
Auch hatte Alexis wieder begonnen an seiner Orgel zu üben. Federico vermochte ihm nicht dabei zuzusehen. Klar war es für ihn spannend Alexis bei den komplizierten Pedalübungen zu beobachten, aber es machte ihm zu schaffen den anderen spielen zu sehen oder gar noch dabei zu zuhören. Da zog er sich lieber mit einem Buch ins Schlafzimmer zurück.
Die Bildbände über asiatische Städte und Regionen ließen ihn die exotische Welt erahnen, in welcher Alexis aufgewachsen sein musste. Die Werke über bedeutende Mathematiker, kryptografische Verfahren und Verschlüsselungstechniken ließ er gleich im Regal stehen. Noch immer fand Federico allein die Vorstellung befremdlich, ein Naturwissenschaftler stecke in seinem Freund. Kunst und Naturwissenschaften waren für Federico nicht vereinbar. Dann gab es noch eine Reihe von Romanen und Thrillern, die in den letzten Jahren auf den Bestsellerlisten gestanden hatten. Federico kannte so manchen davon und war erfreut, dass sie offenbar den gleichen Geschmack teilten was Belletristik anging. Auf den ersten paar Seiten dieser Schmöker hatte Alexis akribisch die Daten und Orte vermerkt, wann und wo er die Geschichten verschlungen hatte – manche Bücher hatte er innerhalb eines Tages durchgelesen, oder auf einem bestimmten Flug zwischen New York und London. Oft fanden sich auch witzige Kommentare zum Geschehen in den Büchern und den Hauptcharakteren. Manche dieser Einträge waren gut zehn Jahre alt. Alexis hatte die Bücher anscheinend auch häufiger verliehen, denn auch Bemerkungen seiner Geschwister, manchmal auch Eltern waren auf der Innenseite der Buchcover verzeichnet. Besonders ausführlich kommentiert und durch auffällig zahlreiche Hände waren die Geschichten gegangen, deren Hauptpersonen schwul waren oder deren Handlung überhaupt einen homosexuellen Hintergrund hatten. Gerade diese Werke interessierten natürlich auch Federico am brennendsten – was ja nicht gerade verwunderlich war.
So stieß er auf das dünne Büchlein, das er sich heute Abend mit ins Bett genommen hatte. Es war mehr eine wissenschaftliche Abhandlung als ein Roman. Eine Untersuchung von Schriftstücken, die dem ausgehenden 18. Jahrhundert entstammten und einem eindeutig homosexuellen Kontext zuzuordnen waren. Federico hatte sich darüber noch nie Gedanken gemacht, aber natürlich hatte es auch schon früher Leute wie ihn, Alexis oder Claude geben müssen. Nie hatte er sich gefragt, wie diese Männer mit ihren Vorlieben umgegangen waren oder sie hatten vertuschen müssen. Pikanterweise wurde in diesen Aufzeichnungen der Name eines gewissen Lord Gabriel Arrowfield erwähnt.
Sollte es wirklich ein Vorfahre von Alexis sein, der hier gemeint war? Besagter Lord war Offizier in der englischen Armee gewesen und hatte sich wohl bei so einigen Schlachten in Indien, damals englische Kolonie, einen Namen gemacht. War das einfach nur Zufall, dass dieser Ur-ur-urgroßvater von Alexis die gleichen sexuellen Vorlieben hatte wie sein Nachfahre? Oder war es etwas, das einem in den Genen lag? Dass man quasi gar nichts dafür oder dagegen tun konnte, welches Geschlecht man liebte? Es waren Fragen mit denen sich wohl jeder Homosexuelle auseinandersetzen musste. Schon bald hatte Federico das Buch vergessen und versuchte selbst eine Antwort auf diese Fragen zu finden.
Erst als Alexis das Schlafzimmer betrat, schreckte er aus seinen Grübeleien auf. Dort stand er, nackt im Türrahmen.
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