Holzhammer 02 - Teufelshorn
sein Mikrophon auf Verdacht in die gleiche Richtung.
Das war ja wieder große Klasse. Gestern hatte Holzhammer noch nicht zu ihm gedurft, und jetzt war die Presse vor ihm da. Und wieso eigentlich? Holzhammer zog seine Nase zurück. Da die Reporter Seiler fixierten und Seiler die Kamera, hatte ihn noch niemand bemerkt. Er stellte sein Diktiergerät an und hielt es Richtung Krankenzimmer.
Das war die Geschichte, die Seiler den Reportern aufband: Holger Stranek war direkt vor ihm gegangen und plötzlich gestolpert. Und zwar an einer eigentlich einfachen Stelle, nämlich dem Teufelshornnieder, dem Sattel zwischen den beiden Teufelshörnern. Dort konnte man eigentlich ganz bequem gehen, aber man sollte halt nicht zur Seite wegkippen. Seiler hatte Stranek stolpern sehen und war geistesgegenwärtig zu ihm hingesprungen. Stranek war dann gefallen, Seiler hatte zwar noch seine Jacke zu fassen gekriegt, ihn aber nicht halten können. Und durch den Zug an seiner Jacke habe er selbst das Gleichgewicht verloren. Er sei dann seitlich weggerutscht, habe verzweifelt versucht, sich mit den Händen irgendwo festzukrallen. Nach einigen Metern habe er auch tatsächlich irgendwas zu fassen bekommen, sei dann noch mit dem Kopf auf einen Stein geschlagen und im gleichen Augenblick insgesamt an einem Vorsprung hängen geblieben. Daher die Kopfverletzung und die Rippenbrüche.
Da hatte Holzhammer seine Aussage. Die er natürlich keinen Moment glaubte. Im Grund konnte er jetzt gehen, Seiler würde ihm nichts anderes erzählen als den Reportern. Schon gar nicht, solange die noch da waren. Möglichst leise stapfte er zurück zum Fahrstuhl. Das fehlte noch, dass er ebenfalls interviewt wurde. Außerdem würde Fischer ihm den Hals umdrehen, wenn er statt seines Chefs den Kopf in eine Kamera hielt. Das war Fischers Domäne. Interviewt zu werden war für seinen Chef wahrscheinlich besser als Sex.
Holzhammer fuhr direkt weiter zur Jennerbahn. Er hatte noch etwas Zeit, daher ließ er sich in dem kleinen Laden gegenüber von der Talstation eine lecker belegte Semmel herrichten. Damit setzte er sich auf die Bank vor den Laden. Mit Blick auf die Talstation hing er seinen Gedanken nach.
Es dauerte nicht lange, da bekam er Gesellschaft von drei Herrschaften aus den neuen Bundesländern. Die kauften nichts im Laden, sondern setzten sich gleich auf die Bank. Es wurde eng. Holzhammer sah sich aber nicht veranlasst, sich dünn zu machen – zumal er dazu genau genommen gar nicht in der Lage war.
Da er in der Mitte saß, lief das Gespräch über ihn hinweg. Und so bekam er mit, dass die drei ebenfalls mit der Seilbahn auf den Jenner fahren und dann zu Fuß herunterlaufen wollten. Thema waren die teuren Tickets für die Bergbahn und die Schwierigkeit des Abstiegs.
Holzhammer wusste zufällig, dass Berchtesgaden von irgendeiner großen Zeitung erst kürzlich das Prädikat «besonders günstig» bekommen hatte. Verglichen mit dem benachbarten Österreich sowieso, aber auch mit deutschen Alpenorten wie Garmisch. Und was die Schwierigkeit des Abstiegs vom Jenner betraf, so handelte es sich um breite, flache Wege.
Dezent warf er einen Blick auf das Schuhwerk seiner Banknachbarn. Das konnte allerdings ein Problem werden. Zwei der drei trugen sogenannte Trekkingsandalen. Wieder einmal fühlte Franz Holzhammer sich darin bestätigt, alle Touristen für geistig minderbemittelt zu halten, bis sie im Einzelfall in der Lage waren, schlüssig das Gegenteil zu beweisen. Diese Sandalen waren auf ebenem Untergrund bestimmt ganz toll, aber Berge waren nun mal schief. Da wollte man keine Schuhe, in denen man meterweit herumrutschte und überall Steinchen hineinbekam. Vielleicht sollte er doch was sagen, sonst war er nachher Schuld, wenn Berchtesgaden in schlechter Erinnerung blieb, wegen blutiger Haxen.
Er deutete auf das Paar Kunststofftreter direkt neben sich und sagte: «Die Sandalen san aber ned ideal zum obigehn.»
«Doch, dö sönd för Börgduren böstöns geeignöt, höt dör Vörköfer gesögt», antwortete die Trägerin.
«So, und welchanes Berchtesgadener Geschäft hat Ihnen die Strandpatschen als Bergschuhe verkauft?», fragte Holzhammer.
«Nein, nicht hier, bei uns in Leipzig.»
Na wunderbar. Im Bewusstsein, sein Möglichstes getan zu haben, erhob sich Holzhammer und schritt hinüber zur Seilbahn.
Christine hatte ihr Büro pünktlich zugesperrt und auf der Kliniktoilette Kostümwechsel gemacht. Wie Superman in der Telefonzelle, dachte sie. Aber sie
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