Holzhammer 02 - Teufelshorn
«Bildungsbürgerverschnitt» gesagt – aber erst nachdem er ihn ausgetrunken hatte.
Sie nippte an ihrem Barolo. Dann nahm sie einen tiefen Schluck. Ihr Blick wanderte über die Einrichtung. Die ehemaligen Lieblingsplätze ihres Mannes konnte man leicht erkennen. Wo er am liebsten gelümmelt hatte, war das helle Leder der Couch dunkel und speckig, und wo er am Esstisch gesessen hatte, konnte man an den unentfernbaren Rotweinflecken auf dem Teppich sehen.
Über Tote sollte man ja nichts Schlechtes sagen – aber denken würde man es wohl noch dürfen, oder? Nein, ihre Ehe war kein Spaß gewesen, eigentlich von Anfang an nicht. Sie war achtzehn gewesen, ein Dummchen vom Lande, wie es im Buche stand. Er vierunddreißig und bereits fest beim DSV installiert. Sie sah gut aus, und er hatte einen guten Job, eine klassische Kombination, die von allen Verwandten fast unwiderstehlich gefördert wurde.
Ihr Vater hatte damals eine Wiese an den DSV verpachtet, und beim Heuen hatten sie sich das erste Mal gesehen. Sie verschwitzt im knappen Top – er im dicken Wagen. Der Hof ihres Vaters war nicht gerade der größte gewesen, die Familie hatte zu kämpfen gehabt. So war Stranek für sie die Fahrkarte vom Viehstall zum Fünfsternehotel gewesen. Sein Job brachte weniger, als die Leute dachten, in Wirklichkeit lebte er hauptsächlich von seinem Erbe. Aber Hauptsache, es war Geld da. An das Geld hatte sie sich schnell gewöhnt, an das große Haus mit Putzfrau und teuren Möbeln. Sie konnte sich nicht vorstellen, dies alles wieder aufzugeben. Deshalb war eine Scheidung für sie trotz allem nie in Frage gekommen.
Hilde wollte sich gerade Barolo nachschenken, als das Telefon klingelte. Sie sah die Nummer auf dem Display und ließ es einfach klingeln.
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11
In der Dunkelheit verfolgte Christine gespannt, wie die Retter ihr langsam näher kamen. Beide mussten bereits in der Rinne sein, irgendwo unterhalb des senkrechten Absatzes, der sie am Absteigen gehindert hatte. Sie konnte hören, dass die beiden sich unterhielten. Irgendwas von «… nicht weiter».
Dann rief einer zu ihr rauf: «Wie geht’s dir denn da oben?»
«Mir geht’s gut!», rief sie zurück. Stimmte ja auch. Sie konnte nur nirgends hin. Und ihre Knie taten langsam weh.
«Frierst du?», brüllte dieselbe Stimme zu ihr herauf.
«Nein!», rief sie zurück.
Dann unterhielten sich die beiden wieder. Sie hörte «so geht das nicht» und «Bohrhaken» und «Statikseil». Einer sprach in ein Funkgerät, es piepste.
Dann rief die Stimme aus dem Dunkel wieder: «Wir brauchen noch a bissl. Wir sind nur die Vorhut. Die andern kommen mit Ausrüstung, mit dem Pinzgauer.»
Christine hatte keine Ahnung, was ein Pinzgauer war, aber sie reimte sich Folgendes zusammen: Die beiden Bergwachtler unter ihr hatten erst mal nur die Lage gepeilt. Wenn es einfach gewesen wäre, hätten sie sie einfach heruntergeführt. Jetzt hatten sie festgestellt, dass es nicht so einfach war, und dass sie sich zumindest anseilen mussten. Das war das Thema «Bohrhaken». Im Gegensatz zu mobilen Sicherungen, die der Vorsteiger legte und der Nachsteiger wieder einsammelte, wurden mit Bohrhaken Kletterrouten dauerhaft abgesichert. Die Ösen, an denen man das Seil befestigte, wurden am Fels verschraubt. Doch um Bohrhaken zu setzen, brauchte man natürlich nicht nur diese Haken, sondern auch eine Bohrmaschine.
Einer der beiden stieg anscheinend wieder ab. Christine war beunruhigt. Wo wollte der denn hin, wo er ihr schon so nahe gewesen war? Sie dachte nach und beruhigte sich wieder: Wahrscheinlich der Hauptmacht den Weg zeigen.
Jetzt war wieder Motorengeräusch zu hören. Kurze Zeit später diverse Stirnlampen, die weit unten herumwuselten. Und dann wurde plötzlich alles hell. Gleichzeitig erfüllte ein Sausen die Luft. Nein, das war kein Hubschrauber, das musste ein riesiger Scheinwerfer sein, den man unten aufgestellt hatte. Irgendwas mit einem Generator, der dieses Geräusch verursachte. Und mit gewaltiger Leuchtkraft. Mehrere hundert Meter weit konnte man damit die Felsen beleuchten.
Es dauerte nicht lange, bis das Geräusch einer Bohrmaschine zu hören war. Um sich die Zeit zu vertreiben und ihre angeschlagenen Knie zu vergessen, versuchte Christine abzuschätzen, wie viele Leute da jetzt unter ihr beschäftigt waren. Sie kam auf sechs. Dazu noch der Einsatzleiter im Hauptquartier der Bergwacht Ramsau.
Schlagartig fiel ihr ein, dass sie Matthias mal eine Zwischenmeldung
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