Home at Heart - Liebe auf Umwegen
kroch auf allen vieren zu dem weißen Grabstein hin und umarmte ihn, als würde es kein Morgen mehr geben. Seine Tränen schienen nie mehr zu versiegen und das Weinen war mittlerweile so anstrengend für ihn geworden, dass er am ganzen Körper zitterte.
„Es tut mir so leid, Amy, Schatz“, sprudelten die Worte unverständlich zwischen seinen Tränen aus dem Mund.
„Wie habe ich dich nur vergessen können. Es tut mir so leid!“ Er drückte sich wieder an den kalten Grabstein. „Niemand wird mich dir wegnehmen. Es gehört schon mehr als eine Lorelai Cartwright dazu, mich von dir zu trennen!“
Die Kanten des Grabsteines bohrten sich in seine Oberarme und seine Seiten, doch er spürte den Schmerz nicht. Er saß nur da und umarmte alles, was in dieser materialistischen Welt von Amy und seinem Baby übriggeblieben war. Einen Grabstein aus Marmor.
Die ganze Nacht über verbrachte Jake in dieser Haltung. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann seinen Tränen versiegten und wann der Zeitpunkt eintrat, an dem er nur noch totunglücklich war und am liebsten sterben wollte. In den frühen Morgenstunden begannen seine Gelenke, sich zu versteifen und zu schmerzen, sodas s er den Grabstein los lies, wieder vor das Grab robbte und sich im Schneidersitz davor setzte. Er bekam nicht mit, dass die Sonne bereits wieder aufging und der Tag die Nacht ablöste. Er hörte auch nicht, dass die Vögel bereits zu singen begannen und die Sonne seinen Rücken wärmte, den sie beschien. Er war in seiner eigenen kleinen Welt gefangen, in der er sich wohl fühlte. Eine Welt, in der Amy nie fortgegangen und getötet worden war. Eine Welt, in der sie am einundzwanzigsten Juni geheiratet und im Januar ein süßes Baby bekommen hatten. In einer Welt, in der Lorelai Cartwright ihm nie über den Weg gelaufen war und seine Liebe zu Amy ungestört geblieben war.
„Sir, kann ich ihnen helfen?“ Jake schrak hoch, als ihn der Friedhofsbedienstete ansprach. Es war, als würde er von seiner heilen Welt in diese grausame Welt, die ihm Amy genommen hatte, zurückdriften.
Der Friedhofsbedienstete, ein Mann in den Sechzigern mit grauem Haar, einem gepflegten Vollbart und freundlichen, blauen Augen sah ihn an. Er trug eine dunkelbraune Uniform, auf deren Revers das Logo des Friedhofes angenäht war. An der linken Seite auf Brusthöhe zierte ein dunkelgrünes Namensschild aus Plastik seine Weste, auf dem „Al“ zu lesen war.
Jake stand auf. Seine Knie schmerzen und knackten und waren im ersten Moment zu schwach, sein gesamtes Gewicht aufzunehmen. Er wischte seine Hände, an denen noch Reste von Erde klebten, an seinen Jeans ab und sah Al ohne ein Wort zu sagen, an.
„Sir, ist alles in Ordnung?“, fragte Al noch einmal.
„Ja, alles bestens“, entgegnete Jake langsam und Al lief ein Schauer über den Rücken. Bei diesem Mann war definitiv gar nichts bestens.
Al setzte gerade dazu an, Jake zu fragen, ob er ihm eine Tasse Kaffe anbieten konnte. Er hatte zwar nur dieses lösliche Zeugs aus der Dose, aber immerhin besser als gar nichts, als Jake wortlos an ihm vorbei ging und auf den Ausgang zumarschierte.
20
Es war etwa vier Uhr Nachmittag, als Jake den Pickup die Einfahrt zur Farm hinauflenkte. Wäre es nach ihm gegangen, wäre er nicht mehr zurückgekehrt. Aber er war es Ellen und Marge schuldig, zumindest zu erklären zu versuchen, warum er weg musste. Die beiden Frauen waren zwar immer noch nicht von Ellens Bruder zurück, aber er würde einfach eine Nachricht hinterlassen. War ihm auch lieber, als das von Angesicht zu Angesicht erledigen zu müssen. Ihm war bewusst, dass Lorelai ihm bestimmt über den Weg laufen würde UND dass sie ihn fragen würde, wo er gesteckt hatte. Immerhin hatte er die Anrufe und ihre Nachrichten auf seinem Handy gehabt, aber in gewisser Weise war er froh, sie zu sehen. Mit ihr hatte er noch ein Hühnchen zu rupfen.
Er parkte den Pickup vor dem Haupthaus, stieg aus und eilte Richtung Gästehaus.
Lorelai hatte im Wohnzimmer gesessen und versucht, sich mit Fernsehen abzulenken, doch die drittklassigen Gerichtsshows mit den Laienschauspielern, die nicht einmal einem Blinden eine gelungene Vorstellung darbieten konnten, schafften es kaum, sie von ihren Gedanken abzubringen. Sie hatte Jake drei Nachrichten auf seinem Handy hinterlassen und ihn siebenmal angerufen. Ohne Erfolg. Mehrmals war sie in die Stadt gefahren und hatte nach seinem Pickup Ausschau gehalten. Sie hatte überlegt, die Polizei zu
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