Homeland: Carries Jagd: Thriller (German Edition)
vermutete ihn in der Provinz Anbar, wo er die Stammesführer eingeschüchtert hatte, indem er allen, die sich ihm in den Weg stellten, die Köpfe abschlagen ließ und die grausigen Trophäen, auf Stangen aufgespießt, zur Abschreckung an einer Straße aufstellte. Auch ein nicht minder brutaler Stellvertreter von ihm wurde in diesem Zusammenhang erwähnt, ein gewisser Abu Ubaida, über den man allerdings noch weniger wusste.
Carrie konnte sich nicht auf die Arbeit konzentrieren. Zu sehr kränkte sie die Versetzung, die sie als Demütigung empfand. Warum hatte man ihr das angetan? Warum ließ Saul sie im Stich? Und warum wollten sie nicht auf sie hören? Jemand plante einen Anschlag auf die Vereinigten Staaten, vielleicht schon in wenigen Tagen oder Wochen, und niemanden schien es zu kümmern. Carrie ging auf die Toilette, schloss sich in einer Kabine ein und setzte sich auf den Klodeckel. Sie schlug die Hände vors Gesicht und hätte am liebsten laut aufge schrien.
Wie konnte das sein? Ihre Haut kribbelte. Dieser ganze Wahnsinn setzte ihr so zu, dass die Medikamente nicht richtig wirkten. Sie rieb sich die Arme, um das Prickeln zu stoppen, doch es funktionierte nicht. Dann fiel es ihr ein: Weil der Vorrat an Clozapin zu Ende ging, hatte sie es nur noch jeden zweiten Tag genommen. Die bipolare Störung machte sich bemerkbar, und das Pendel schlug in Richtung Depression aus.
Sie sah sich in der Kabine um wie ein in die Enge getriebenes Tier. Sie musste nach Hause.
KAPITEL 8
Reston, Virginia
Die folgenden eineinhalb Wochen schleppte sie sich zur Arbeit und tat so, als mache es ihr nichts aus. Sie hatte ganz aufgehört, Medikamente zu nehmen, um den Rest aufzusparen, und kam sich vor, als sei sie in ein schwarzes Loch gefallen. Abgescho ben und verlassen. Die Berichte, die sie durchsehen sollte, musste sie drei- oder viermal lesen – sie konnte sich einfach nicht konzentrieren.
Diese Mistkerle . Saul war für sie immer wie ein Vater gewesen oder wie der weise jüdische Onkel, den jeder gerne hätte. Und von Estes hatte sie angenommen, er würde ihre Arbeit und ihren Einsatz wenigstens schätzen.
Sie hatte ihnen einen handfesten Hinweis geliefert – und was taten sie? Nichts. Im Gegenteil: Sie bestraften sie dafür und zerstörten ihre Karriere. Vorbei, dachte sie und verbrachte immer mehr Zeit auf der Toilette. Sie hatte nichts und war nichts.
Irgendwann hörte sie auf, zur Arbeit zu gehen, konnte sich zu nichts mehr aufraffen. Saß einfach in einem Winkel des Schlafzimmers auf dem Boden, die ganze Wohnung still und dunkel. Sie hatte seit Tagen nicht mehr gegessen. Waren es zwei? Drei? Eine leise Stimme in ihrem Inneren mahnte: Das bist nicht du, das ist die Krankheit . Aber auch das machte für sie keinen Unterschied mehr.
Selbst der gelegentlich notwendige Gang zur Toilette kostete sie Überwindung. Apathisch hockte sie im Dunkeln. Eine Versagerin. Die Tochter ihres Vaters.
Ihr Vater.
Thanksgiving. Ihr erstes Jahr in Princeton. Maggie war mittlerweile in ihrem letzten Jahr an der Universität von New York. Sie hatte Carrie angerufen und ihr mitgeteilt, dass sie Thanksgiving bei der Familie ihres Freundes Todd in Connecticut verbringen werde. »Dad ist allein. Du musst zu ihm fahren, Carrie«, bat Maggie.
»Warum ich? Du musst auch kommen. Er braucht uns beide.« Es war schließlich Thanksgiving, und vielleicht rief ja ihre Mutter endlich an. Immerhin war sie noch mit ihm verheiratet. Und was hatten sie und Maggie ihrer Mutter getan? Wenn sie schon Frank nicht anrief, könnte sie sich wenigstens bei ihnen melden. Sie kannte Maggies Telefonnummer in Morningside Heights. Und sie wusste, dass Carrie in einem Studentenheim in Princeton wohnte. Wenn sie wollte, konnte sie sie jederzeit erreichen. Ihr Vater müsste es ja gar nicht erfahren. O Gott, war denn ihre ganze Familie verrückt?
Zwei Tage vor Thanksgiving rief ihr Vater an. »Deine Schwes ter kommt nicht«, sagte er.
»Ich weiß, Dad. Sie fährt zu ihrem Freund. Ich glaube, es ist etwas Ernstes mit ihr und Todd. Aber ich komme am Mittwoch. Ich freue mich schon«, log sie. Es würde ziemlich düster sein im Haus, nur sie beide.
»Du musst nicht kommen, Caroline. Ich weiß, du hast andere Dinge …« Seine Stimme verebbte.
»Rede keinen Unsinn. Es ist Thanksgiving. Hör zu, kauf schon mal den Truthahn, und ich bereite ihn dann zu. Ich mache alles. Okay?«
»Aber es muss wirklich nicht sein. Vielleicht wär’s besser, du kämst nicht«, sagte
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