Homers letzter Satz: Die Simpsons und die Mathematik (German Edition)
war zu einer Erfinderlegende geworden.
In der Episode will Homer in Edisons Fußstapfen treten. Er erfindet die verschiedensten Geräte, von einer Alarmanlage, die alle drei Sekunden piepst, um anzuzeigen, dass alles in Ordnung ist, bis zu einem Gewehr, das Schminke aufträgt, wenn man es aufs Gesicht abfeuert. In dieser Phase konzentrierter Forschung und Entwicklung kritzelt Homer verschiedene mathematische Gleichungen an eine Tafel. Das ist nicht weiter überraschend, da viele Hobby-Erfinder begeisterte Mathematiker waren, und viele Mathematiker begeisterte Hobby-Erfinder.
Man denke dabei nur an Sir Isaac Newton, der in der Simpsons -Folge »Homer liebt Mindy« (1993) einen kurzen Gastauftritt hat. Newton ist einer der Väter der modernen Mathematik, aber er war auch ein Erfinder. Er soll die erste türlose Katzentür gebaut haben – ein Loch am unteren Rand einer Tür, durch das seine Katze ein- und ausgehen konnte, wie und wann sie wollte. Seltsam war nur ein von ihm angebrachtes zweites, kleineres Loch: wohl für besonders kleine Kätzchen bestimmt. War Newton wirklich so exzentrisch und zerstreut? Ob diese Geschichte wirklich stimmt, ist unklar, aber J.M.F. Wright berichtete im Jahr 1827: »Unabhängig davon, ob diese Erzählung wahr ist oder nicht, die Tatsache bleibt, dass sich bis zum heutigen Tag zwei Löcher in der Tür befinden mit der richtigen Größe für eine Katze und ein Kätzchen.«
David S. Cohen hatte Homers mathematische Kritzeleien an der Tafel in das Skript von »Im Schatten des Genies« eingebaut. Cohen gehörte zu einer neuen Generation von mathematisch gesinnten Autoren, die Mitte der 1990er Jahre zum Simpsons -Team gestoßen waren. Wie Al Jean und Mike Reiss zeigte Cohen schon in frühen Jahren ein ausgesprochenes Talent für Mathematik. Er hatte regelmäßig die Scientific-American -Ausgaben seines Vaters gelesen und an den Mathe-Rätseln in Martin Gardners monatlicher Kolumne geknobelt. Während seiner Schulzeit an der Dwight Morrow High School in Englewood, New Jersey, war er Co-Kapitän des Mathe-Teams, das die Staatsmeisterschaft im Jahr 1984 gewann.
Cohen tat sich mit seinen Schulfreunden David Schiminovich und David Borden zur Programmierer-Gruppe Die Glitchmasters zusammen. Die drei erfanden gemeinsam ihre eigene Programmiersprache, FLEET, für Hochleistungsgrafiken und -spiele auf dem Apple II Plus. Gleichzeitig interessierte Cohen sich fürs Comedy-Schreiben und für Comicbücher. Nach eigener Aussage begann seine Karriere als professioneller Autor mit Cartoons, die er in der Highschool zeichnete und für einen Cent an seine Schwester verkaufte.
David S. Cohens Foto im Jahrbuch von 1984 der Dwight Morrow High School. Alle Mitglieder des Mathe-Teams waren Co-Kapitäne, damit alle es in ihren Bewerbungen fürs College angeben konnten. [c]
Während seines Physik-Studiums an der Harvard University hielt sein Interesse am Schreiben an. Er arbeitete beim Harvard Lampoon mit und wurde schließlich leitender Redakteur der Zeitschrift. Wie bei Al Jean siegte am Ende auch bei Cohen die Leidenschaft für Comedy und fürs Schreiben über seine Liebe zu Mathematik und Physik, sodass er schließlich einer akademischen Karriere den Rücken kehrte und Autor der Simpsons wurde. Hin und wieder aber kehrt Cohen zu seinen Wurzeln zurück und schmuggelt ein bisschen Mathematik in die TV-Serie, wie etwa die Symbole und Diagramme auf Homers Tafel.
Cohen wollte neben mathematischen auch Gleichungen aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen einbauen, daher kontaktierte er seinen Highschool-Freund David Schiminovich, der als Astronom an der Columbia University arbeitete.
Die erste Gleichung an der Tafel ist ein Beitrag von Schiminovich. Mit ihr kann die Masse eines Higgs-Bosons, M(H 0 ), vorausberechnet werden. Das Higgs-Boson ist ein Elementarteilchen, dessen Existenz im Jahr 1964 erstmals vermutet wurde. Die Gleichung verbindet auf spielerische Weise mehrere wichtige Größen, etwa die Planck-Konstante, die Gravitationskonstante und die Lichtgeschwindigkeit. Wenn man diese Konstanten nachschlägt und in die Gleichung einfügt, erhält man als Ergebnis eine Masse von 775 Gigaelektronenvolt (GeV), erheblich mehr als die Schätzung von 125 GeV, die nach der Entdeckung des Higgs-Bosons im Jahr 2012 vorgenommen wurde. Doch 775 GeV waren schon ziemlich gut geraten, wenn man bedenkt, dass Homer ein Hobby-Erfinder ist und seine Berechnung 14 Jahre vor dem Nachweis des geheimnisvollen Teilchens durch
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