Homers letzter Satz: Die Simpsons und die Mathematik (German Edition)
haben ein tiefes Bedürfnis, alles zu kontrollieren. Naturwissenschaftler hingegen schlagen sich lieber mit der Realität herum.
Jean zufolge ist der Unterschied zwischen Mathematik und Naturwissenschaft derselbe wie zwischen dem Schreiben für eine Real-Sitcom und dem Schreiben für eine Zeichentrickserie: »Reales Fernsehen ist für mich wie experimentelle Wissenschaft, weil Schauspieler spielen, wie sie wollen, und man mit den Aufnahmen arbeiten muss. Trickfilm ist wie reine Mathematik, weil man über jede Zeile die volle Kontrolle hat, wie sie gesprochen wird und so weiter. Wir können wirklich alles kontrollieren. Trickfilm ist die Welt der Mathematiker.«
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Einige von Mike Reiss’ Lieblingswitzen funktionieren mit Mathematik: »Ich liebe diese Witze. Ich genieße sie. Dabei fällt mir ein anderer großartiger Witz ein, den ich als Kind gehört habe. Da sind diese zwei Typen, die eine Lastwagenladung Wassermelonen zu einem Dollar das Stück gekauft haben und sie dann am anderen Ende der Stadt für einen Dollar pro Stück verkaufen. Am Ende haben sie nichts verdient, und der eine Typ sagt: ›Wir hätten einen größeren Laster nehmen sollen.‹ « 11
Dieser Witz reiht sich in eine lange Tradition mathematischer Witze ein, die alles umfasst, von trivialen Einzeilern bis zu komplexen Erzählungen. Den meisten Menschen mögen solche Witze bizarr erscheinen, und wahrscheinlich wird man sie nicht oft im Programm eines Stand-up-Comedian hören, aber sie sind ein wichtiger Teil der mathematischen Kultur.
Meinen ersten anspruchsvollen mathematischen Witz las ich als Teenager in Concepts of Modern Mathematics von Ian Stewart:
Ein Astronom, ein Physiker und ein Mathematiker machen Urlaub in Schottland. Vom Zugfenster aus sehen sie mitten auf einer Wiese ein schwarzes Schaf. »Äußerst interessant«, bemerkt der Astronom. »Alle schottischen Schafe sind schwarz!« Darauf entgegnet der Physiker: »Aber nein! Manche schottischen Schafe sind schwarz!« Der Mathematiker blickt flehentlich gen Himmel und verkündet dann: »In Schottland existiert mindestens eine Wiese, auf der mindestens ein Schaf steht, das mindestens auf einer Seite schwarz ist.«
Ich behielt diesen Witz 17 Jahre lang im Hinterkopf und nahm ihn dann in mein erstes Buch auf, in dem es um die Geschichte und den Beweis von Fermats letztem Satz geht. Der Witz illustriert perfekt die Präzision der Mathematik. Er gefiel mir so gut, dass ich die Geschichte vom schwarzen Schaf in viele meiner Vorträge einbaute. Im Anschluss kamen manchmal Zuhörer auf mich zu und erzählten mir ihre eigenen Witze über π, Unendlichkeit, Abelsche Gruppen und das Zornsche Lemma.
Ich war neugierig, was andere Geeks zum Glucksen brachte, und so bat ich einige Leute, mir ihre Lieblings-Mathewitze per E-Mail zu schicken. In den vergangenen zehn Jahren erhielt ich immer wieder Beispiele für Nerd-Humor, die von schlechten Wortspielen zu umfangreichen Anekdoten reichten. Besonders gefallen hat mir eine Geschichte, die ursprünglich von dem Mathe-Historiker Howard Eves (1911–2004) stammte. Sie handelt von Norbert Wiener, dem zerstreuten Mathematiker und Kybernetik-Pionier:
Wiener zog mit seiner Familie in ein neues Haus einige Häuserblocks von der alten Wohnung entfernt. Am ersten Tag gab Wieners Frau ihrem Mann eine Wegbeschreibung mit, damit er wieder zurückfand. Sie wusste, wie zerstreut er war. Doch als er bei Feierabend sein Büro verließ, konnte er sich nicht mehr erinnern, wo er den Zettel hingesteckt hatte – er konnte sich auch nicht mehr erinnern, wo das neue Haus stand. Also fuhr er stattdessen in die Gegend, in der sie früher gewohnt hatten. Er sah ein kleines Kind und fragte es: »Kleine, kannst du mir sagen, wo die Wieners jetzt wohnen?« »Klar, Daddy«, antwortete das Mädchen. »Mami dachte sich schon, dass du hierherkommst. Sie hat mich geschickt, damit ich dir den Weg nach Hause zeige.«
Natürlich sagen Anekdoten über berühmte Mathematiker und Witze über Klischee-Mathematiker nicht allzu viel über die Mathematik selbst aus. Außerdem werden sie schnell langweilig, wie die folgende bekannte Parodie zeigt:
Ein Ingenieur, ein Physiker und ein Mathematiker landen in einer Anekdote von der Art, die man schon tausend Mal gehört hat. Nach einigen Beobachtungen und groben Berechnungen erkennt der Ingenieur die Situation und lacht. Wenige Minuten später hat auch der Physiker verstanden und kichert fröhlich vor sich hin. Er hat jetzt genug
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