Homers letzter Satz: Die Simpsons und die Mathematik (German Edition)
mathematisch interessierte Autoren ihr Zuhause bei den Simpsons gefunden hatten. Cohen meinte, mathematisch ausgebildete Comedy-Autoren seien es eher gewohnt, sich dem Unbekannten allein mit ihrer Intuition bewaffnet zu stellen: »Mathematische Beweise und das Schreiben von Comedy haben einiges gemeinsam: Es gibt bei beiden keine Garantie, dass man zu dem Schluss kommt, den man möchte. Wenn man nach einem Witz sucht (in dem es um ein bestimmtes Thema geht oder der eine bestimmte Geschichte erzählt), gibt es keine Garantie, dass tatsächlich ein Witz existiert, mit dem man alle Ziele erreicht … und der auch noch witzig ist. Ähnlich ist es bei einem mathematischen Beweis. Vielleicht existiert ein solcher Beweis gar nicht. Noch wahrscheinlicher ist, dass es keinen Beweis gibt, den ein Mensch versteht. In beiden Fällen – bei den Witzen und den Beweisen – weiß man intuitiv, ob sich der Zeitaufwand lohnt oder nicht.«
Cohen fügt hinzu, dass man durch eine mathematische Ausbildung das geistige Durchhaltevermögen bekommt, das man beim Schreiben einer Simpsons -Episode benötigt: »Es klingt nach Spaß und hört sich einfach an, aber man rennt oft genug mit dem Kopf gegen die Wand. Wir müssen immer eine komplizierte Geschichte in sehr kurzer Zeit erzählen und dabei immer einige logische Probleme überwinden. Es ist immer ein großes Rätselspiel. Das Endprodukt ist immer locker und witzig, und so glaubt niemand, wie viel Schweiß und Tränen in jeder Folge stecken. Wir haben viel Spaß, aber es ist auch sehr anstrengend.«
Um auch die andere Seite zu Wort kommen zu lassen, sprach ich danach mit Matt Selman, der Englisch und Geschichte studiert hatte, bevor er zum Autorenteam stieß. Er bezeichnet sich selbst als denjenigen »mit am wenigsten Ahnung von Mathematik«. Auf die Frage, warum die Simpsons so viele Leute mit einer Vorliebe für Polynome anziehen, stimmt Selman Cohen zu, dass Drehbücher im Prinzip Rätsel sind, und dass man bei komplizierten Episoden »richtig Hirnschmalz verbrennt«. Selman sieht bei den mathematischen Autoren auch noch eine besondere Eigenschaft: »Alle Comedy-Autoren glauben, dass sie eine ganz hervorragende Beobachtungsgabe für Menschen haben und sich mit Pathos, Bathos und all den anderen -athosen bestens auskennen. Man könnte bösartig behaupten, Mathematiker seien kalt und herzlos und dass sie keine guten Witze über Liebe und Verlust schreiben können, aber das ist nicht meine Meinung. Allerdings gibt es einen Unterschied. Ich glaube, mathematisches Denken eignet sich am besten für richtig bescheuerte Witze, weil Logik der Kern der Mathematik ist. Je mehr man sich mit Logik beschäftigt, umso mehr Spaß hat man daran, sie zu verdrehen und zu verfälschen. Meiner Meinung nach haben logische Denker besonders viel Spaß am Unlogischen.«
Mike Reiss, der an der allerersten Episode der Simpsons mitarbeitete, stimmt zu: »Es gibt so viele falsche Theorien über Humor. Wissen Sie, was Freud über Humor schrieb? Er liegt da einfach nur absolut falsch. Allerdings bauen wahnsinnig viele Witze auf falscher Logik auf. Ein Beispiel: »Eine Maus sitzt im Kino. Kaum hat der Film begonnen, setzt sich ein Elefant vor die Maus. Sie wird wütend. Nach einer Weile steht sie auf, setzt sich auf den freien Platz vor dem Elefanten, dreht sich um und zischt: ›So, nun siehst du mal, wie das ist!‹ Wenn Komik daraus entstünde, dass etwas nicht zusammenpasst, dann wäre das Komische an dem Witz, dass eine Maus und ein Elefant ins Kino gehen. Aber der Witz liegt nicht darin, dass etwas nicht zusammenpasst, sondern in dem logischen Fehlschluss, der die verschiedenen Elemente zu einer Geschichte verbindet.«
Die Autoren lieferten verschiedene Erklärungen dafür, warum mathematisches Denken besonders gut zum Comedy-Schreiben passt. Doch eine wichtige Frage bleibt unbeantwortet: Warum landeten all diese Mathematiker als Autoren bei den Simpsons und nicht bei 30 Rock oder Modern Family?
Al Jeans mögliche Erklärung hat mit dem Verhältnis zu tun, das er als Teenager zu Laboren hatte: »Ich habe experimentelle Wissenschaft gehasst, weil ich im Labor hoffnungslos verloren war und nie die richtigen Resultate bekam. Theoretische Wissenschaft und Mathematik waren anders.« Mit anderen Worten: Naturwissenschaftler müssen sich mit der Realität und all ihren Unvollkommenheiten beschäftigen, wohingegen Mathematiker ihr Handwerk in einer idealen, abstrakten Welt ausüben. Viele Mathematiker, wie Jean,
Weitere Kostenlose Bücher