Homers letzter Satz: Die Simpsons und die Mathematik (German Edition)
den Rasen des Nachbarn mähen.
Es kommt zum Streit zwischen den beiden Vätern, in dessen Verlauf Homer und Ned auf die Unendlichkeit zurückgreifen, um ihren Standpunkt durchzusetzen.
HOMER: Morgen um diese Zeit tragen Sie schon Stöckelschuhe.
NED: Nein. Aber Sie.
HOMER: Werd ich nicht.
NED: Werden Sie doch.
HOMER: Werd ich nicht.
NED: Werden Sie doch.
HOMER: Werd ich nicht unendlich.
NED: Werden Sie doch unendlich plus 1. 24
HOMER: D’oh!
Ich erkundigte mich, welcher Autor diesen Dialog geschrieben hatte, aber niemand konnte sich daran erinnern. Das ist nicht weiter verwunderlich. Immerhin wurde das Skript vor mehr als zwei Jahrzehnten verfasst. Doch die Autoren waren sich einig, dass Homer und Neds kleiner Streit bei ihnen eine Debatte über Unendlichkeit ausgelöst und die Fertigstellung des Skripts verzögert hatte. Ist unendlich plus eins mehr als unendlich? Ergibt diese Aussage Sinn, oder ist es nur sinnloses Geschwätz? Kann man das beweisen?
Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Fragen haben die Mathematiker am Autorentisch zweifellos Georg Cantor erwähnt, der im Jahr 1845 in St.Petersburg/Russland geboren wurde. Cantor war der erste Mathematiker, der sich ernsthaft mit der Bedeutung der Unendlichkeit beschäftigte. Doch seine Erklärungen waren stets so technisch, dass der angesehene deutsche Mathematiker David Hilbert (1862–1943) Cantors Forschungen einem breiteren Publikum vermitteln musste. Hilbert hatte ein Talent dafür, passende Vergleiche für Cantors Theorien über die Unendlichkeit zu finden, die diese verständlicher machten.
Eine der bekanntesten Erklärungen Hilberts zur Unendlichkeit bedient sich eines imaginären Gebäudes, das als Hilberts Hotel bekannt wurde – ein ziemlich großes Hotel mit einer unendlichen Anzahl an Zimmern, deren Türen mit 1, 2, 3 usw. markiert sind. Eines Abends sind alle Zimmer bereits belegt, als ein neuer Gast ohne Reservierung im Hotel erscheint. Glücklicherweise hat Dr. Hilbert, der Besitzer des Hotels, eine Lösung für das Problem: Er bittet alle Hotelgäste, aus ihren derzeitigen Zimmern in das Nebenzimmer umzuziehen. Der Gast aus Zimmer 1 zieht in Zimmer 2, der Gast aus Zimmer 2 zieht in Zimmer 3 und so weiter. Nach dem Umzug haben immer noch alle Gäste ein Zimmer, aber Zimmer 1 ist jetzt frei für den neuen Gast. Dieses Szenario legt den Schluss nahe (der auch formal bewiesen werden kann), dass unendlich plus 1 gleich unendlich ist. Die Schlussfolgerung mag paradox wirken, doch sie ist zutreffend.
Ned Flanders liegt also falsch, wenn er glaubt, er könne Homers unendlich mit unendlich plus eins übertrumpfen. Er hätte den Streit noch nicht einmal mit »unendlich plus unendlich« gewinnen können, wie eine weitere Anekdote aus Hilberts Hotel belegt.
Das Hotel ist wieder ausgebucht, als ein unendlich langer Bus ankommt. Der Busfahrer fragt bei Dr. Hilbert nach Zimmern für seine unendlich vielen Passagiere. Doch Hilbert weiß sich auch diesmal zu helfen. Er bittet alle bereits eingezogenen Gäste in ein Zimmer umzuziehen, dass die doppelte Zimmernummer ihres gegenwärtigen Zimmers hat. Der Gast aus Zimmer 1 zieht also in Zimmer 2 um, der Gast aus Zimmer 2 zieht in Zimmer 4 um und so weiter. Die unendlich vielen Gäste, die bereits im Hotel sind, belegen jetzt nur noch Zimmer mit geraden Nummern, sodass eine ebenso unendliche Anzahl an Zimmern mit ungeraden Nummern jetzt leer steht und das Hotel genügend Zimmer für die unendlich vielen Buspassagiere hat.
Auch dies erscheint paradox. Man könnte es sogar für Unsinn halten, das Resultat weltfremden Philosophierens. Doch diese Schlussfolgerungen über Unendlichkeit sind weit mehr als reine Sophisterei. Mathematiker kamen zu diesen Erkenntnissen über Unendlichkeit, wie bei anderen Theorien auch, indem sie ihre Argumentation präzise, Schritt für Schritt, auf stabilen Grundlagen aufbauten.
Eine Anekdote bringt es auf den Punkt: Der Vizerektor einer Universität beschwert sich beim Leiter des Fachbereichs Physik: »Warum brauchen Physiker immer so viel Geld für Labore und Ausrüstung? Warum seid ihr nicht wie der Fachbereich Mathematik? Mathematiker brauchen nur Geld für Stifte, Papier und Papierkörbe. Oder noch besser, warum seid ihr nicht wie der Fachbereich Philosophie? Die brauchen nur Stifte und Papier.«
Die Anekdote ist ein kleiner Seitenhieb gegen Philosophen, denen die Präzision der Mathematiker fehlt. Mathematik ist die akribische Suche nach der
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