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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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allein gelassen?«
    »Ja, die harten Sachen drückt er immer dem alten Garvo auf … Hast du die Klamotten drauf, die hier an der Tür?«
    »Ja, mehrfach.«
    Garvey nickt.
    Charlene Lucas wurde von einem Nachbarn gefunden, einem Mann mittleren Alters, der in der Wohnung über ihr wohnt. Als er um fünf Uhr am Morgen zur Arbeit ging, bemerkte er, dass ihre Haustür offen stand, und als er kurz nach vier Uhr am Nachmittag zurückkehrte, war sie immer noch nicht zu. Erst hat er ihren Namen gerufen und sich dann so weit in die Wohnung gewagt, bis er die Beine der auf dem Boden liegenden Frau sah.
    Die Sanitäter stellten um 16 Uhr 40 ihren Tod fest, und eine Viertelstunde später hielt Garvey mit seinem Wagen vor dem Haus in der Gilmor Street. Das Gelände war abgesperrt, und die Polizei sorgte dafür, dass außer den Hausbewohnern niemand das rote Backsteingebäude betrat. Das dreistöckige Reihenhaus war erst vor Kurzem renoviert und in lauter kleine Singlewohnungen umgebaut worden. Allem Anscheinnach hatte die Baufirma beachtliche Arbeit geleistet. In einem der etwas heruntergekommenen Westside-Stadtteile gelegen, konnte man das Haus, in dem Lena Lucas wohnte, mit Fug und Recht als Tribut an das Viertel bezeichnen. Die von Grund auf renovierten Apartments waren sämtlich mit einer Alarmanlage, einem massiven Bolzenschloss sowie einer Sprechanlage in Kombination mit dem Türöffner ausgestattet.
    Auf dem Weg in das Gebäude und hinauf zum zweiten Stock stellt Garvey sofort fest, dass es keinerlei Zeichen für ein gewaltsames Eindringen gibt, weder an der Haustür noch an der Wohnungstür des Opfers. Sowohl im Wohnzimmer als auch im nach hinten hinausgehenden Schlafzimmer sind die Fenster unbeschädigt.
    Lena Lucas liegt auf dem Rücken inmitten einer Lache von geronnenem Blut, das den beigefarbenen Teppich großflächig eingefärbt hat. Ihre Augen sind geschlossen, ihr Mund leicht geöffnet, und bis auf einen weißen Slip ist sie nackt. Der Blutfleck lässt darauf schließen, dass sie im Rücken schwer verwundet ist, aber Garvey bemerkt auch um das linke Ohr eine Blutkruste, vermutlich von einer Schusswunde. Hals und Kinn der Frau sind außerdem mit etwa einem Dutzend nicht sehr tiefer Schnitte übersät – manche nicht mehr als Kratzer.
    Der Kopf Richtung Norden, die Füße Richtung Süden, liegt die Leiche neben einem Doppelbett in dem engen Zimmer. Auf dem Boden neben der Schlafzimmertür finden sich die restlichen Kleider des Opfers; Garvey fällt auf, dass sie einen kleinen Haufen bilden, so als wäre sie stehend aus ihnen herausgestiegen. Lena Lucas hatte kein Problem damit gehabt, sich vor ihrem Mörder auszuziehen, überlegt Garvey. Und falls sie sich vor der Ankunft ihres Mörders entkleidet hatte, hatte sie offenbar nichts dabei gefunden, ihre Wohnungstür zu öffnen, ohne sich etwas überzuziehen.
    Das Schlafzimmer selbst ist weitgehend unangetastet, wie die übrige Wohnung auch. Nur ein Kleiderschrank aus Metall ist offenbar durchwühlt worden, die Türen stehen weit offen, ein paar Klamotten und Taschen sind zu Boden geworfen worden. In einer Ecke des Zimmers ist eine Tüte Reis aufgerissen und über den Teppich verstreut worden, und daneben entdeckt Garvey ein weißes Pulver, wahrscheinlich Kokain, und etwa einhundert leere Gelatinekapseln. Für Garvey nicht verwunderlich:Reis absorbiert Feuchtigkeit und wird häufig mit Kokain zusammen gelagert, damit das Pulver nicht kristallisiert.
    Garvey sieht sich das hölzerne Kopfteil des Betts näher an. An der Ecke gleich neben dem Kopf des Opfers entdeckt er eine Reihe vertikaler, rauer Kratzer, noch ziemlich frisch und von einem scharfen Gegenstand, der von oben nach unten geführt wurde. Darunter auf dem Bettlaken befinden sich ein paar Blutspritzer, und auf dem Boden neben dem Bett liegt ein Küchenmesser mit einer abgebrochenen Klinge.
    Theorie: Die Frau lag auf dem Rücken im Bett, den Kopf nach Norden, als sie mit dem Messer angegriffen wurde. Der Mörder befand sich unmittelbar über ihr, während er auf sie einstach, und traf dabei mehrmals das Kopfteil. Entweder durch die Heftigkeit des Angriffs oder beim Versuch, sich dem Griff des Mörders zu entwinden, rollte das Opfer über den Bettrand auf den Boden.
    Neben dem Kopf der Toten liegen ein Kissen und ein Kissenbezug mit schwarzen Spuren, anscheinend Schmauchspuren. Doch erst als die Rechtsmediziner kommen und die Leiche umdrehen, entdeckt Garvey den kleinen, unregelmäßig geformten stumpfen Klumpen

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