Homicide
grauen Metalls auf dem Teppich inmitten von Blutspritzern, an der Stelle, wo der Kopf des Opfers lag. Der Gnadenschuss fiel zweifellos, als die Frau bereits auf den Boden gerollt war, das Kissen war als Schalldämpfer um die Pistole gedrückt worden.
Die Kugel sieht ungewöhnlich aus. Garvey sieht sie sich genau an: Mediumkaliber, wahrscheinlich eine 32er oder 38er, aber ein seltener Typ, den er noch nie gesehen hat, etwas in Richtung Semi-Wadcutter. Sie ist noch halbwegs intakt, kaum beschädigt oder abgesplittert und wird für eine ballistische Untersuchung taugen. Garvey lässt das Projektil in ein braunes Papiertütchen fallen und gibt es Wilson für die Spurensicherung. In der Küche ist die Besteckschublade ein Stück herausgezogen. Ansonsten ist in der Wohnung fast alles in ordentlichem Zustand. Wohn- und Badezimmer scheinen unangetastet.
Garvey sagt dem Kollegen von der Spurensicherung, er solle sich auf Fingerabdrücke im hinteren Teil des Schlafzimmers und auf der Wohnungs- und Badezimmertür konzentrieren. Der Techniker verteilt das rußhaltige Pulver auch auf den Arbeitsflächen in der Küche und der offenen Besteckschublade, dann auf dem Spülbecken und dem Waschbeckenim Badezimmer, wo sich der Mörder womöglich die Hände gesäubert hat. Wo der schwarze Staub die Konturen eines brauchbaren Abdrucks zeichnet, drückt der Spurensicherer ein gewöhnliches Stück transparentes Klebeband auf den Abdruck und klebt es auf ein weißes Kärtchen. Der Stapel dieser Karten wächst, als der Techniker nach dem Schlafzimmer die Küche untersucht. Als er mit den Arbeitsflächen fertig ist, deutet er auf das Ende des Flurs.
»Soll ich auch das Wohnzimmer machen?«
»Ich denke nicht. Sieht aus, als wäre er nicht drin gewesen.«
»Es würde mir nichts ausmachen …«
»Ne!, scheiß drauf«, sagt Garvey. »Wenn es jemand war, der hier ein- und ausging, werden uns die Fingerabdrücke sowieso nichts sagen.«
Im Kopf katalogisiert der Detective die Beweisstücke, die ins Präsidium geschickt werden müssen: Die Kugel. Das Messer. Der Kleiderhaufen. Das Rauschgift. Die Gelatinekapseln. Das Kissen und die Kissenhülle mit den Schmauchspuren. Das Bettlaken, das vorsichtig von der Matratze abgezogen und langsam zusammengefaltet worden war, damit keine Haare oder Gewebespuren verloren gingen. Und natürlich die Fotos von den Zimmern, dem Tatort, dem Bett und den Kerben im Kopfteil, von allen Beweisstücken an ihrem ursprünglichen Fundort.
In einem Stadtviertel sprechen sich Neuigkeiten schnell herum, und die Familie der Toten – Mutter, Bruder, Onkel, ihre noch jungen Töchter – erscheint in der Gilmor Street, noch bevor die Mitarbeiter von der Rechtsmedizin die Leichenbahre in den schwarzen Lieferwagen schieben. Garvey lässt sie alle in Funkwagen zum Präsidium bringen. Dort werden andere Detectives die notwendigen Hintergrundinformationen zusammentragen.
Zwei Stunden später kehren ein paar Familienangehörige von Lena Lucas an den Tatort zurück. Als Garvey hier so gut wie fertig ist und hinuntergeht, sieht er die jüngere Tochter der Toten an einen Streifenwagen gelehnt – ein mageres, drahtiges Geschöpf, noch keine dreiundzwanzig, aber besonnen und clever. Jeder erfahrene Morddetective weiß, dass es in der Familie des Opfers immer eine Person gibt, der man vertrauen kann, die schweigen kann, zuhört, Fragen richtig beantwortet, auf die Umstände eines Mordes eingehen kann, während alle anderen noch jammern und wehklagen oder sich schon darüber streiten,wer den zehnstufigen Mixer des Opfers bekommen soll. Garvey hat mit Jackie Lucas gesprochen, bevor er die Familie ins Präsidium schickte, und die kurze Unterhaltung hat ihm genügt, um zu erkennen, dass die junge Frau seine beste und klügste Kontaktperson in der Familie ist.
»He!, Jackie«, sagt Garvey und gibt ihr mit einer Geste zu verstehen, sie solle ihm ein Stück weit folgen, weg von der Menge, die sich vor dem Haus versammelt hat.
Jackie Lucas holt den Detective ein, der noch ein paar Meter weitergeht.
Das Gespräch beginnt mit dem, womit solche Gespräche immer beginnen, mit dem Freund der Toten, ihren Gewohnheiten und Lastern. Garvey hat in Befragungen der Familienmitglieder schon einiges über das Opfer erfahren; hinzu kommen Einzelheiten des Tatorts – kein gewaltsames Eindringen, das Kleiderhäufchen, der Reis und die Gelatinekapseln. Als er mit seinen Fragen beginnt, berührt Garvey leicht den Arm der jungen Frau, wie um zu
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