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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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trennen.
    McLarney lässt eine weitere Bierdose auf den Haufen im Rinnsteinrollen, wo sie scheppernd an ihre Brüder prallt. Biemiller holt Nachschub vom Rücksitz und gibt ihn McLarney. Der lehnt sich mit seinem ganzen Gewicht an den Kühlergrill.
    »Also, Vince, was hältst du von der Sache?« McLarney zieht die Lasche hoch, und weißer Schaum quillt über den Rand. Als er an der Dose herunterfließt, flucht der Sergeant und schüttelt ihn von der Hand ab.
    Moulter grinst unbestimmt. »Von welcher?«
    »Von der mit Gene.«
    Mit Gene. Nach einer durchsoffenen Nacht mit dummen Sprüchen, nachdem sie stundenlang in der Stadt herumgefahren sind wie eine Meute motorisierter Zigeuner, gibt McLarney noch immer keine Ruhe. Irgendwie muss er den verdammten Fall weiter breittreten. In diesem Augenblick ist die Sache mit der Appleton Street die einzige Geschichte, von der zu reden sich lohnt, und es muss unbedingt über die Moral der ganzen Sache geredet werden.
    Moulter zuckt die Achseln. Er starrt auf das Gestrüpp und den Müll an der Gleisböschung der Amtrak-Linie, an der die Calverton endet. Schon lange ist dies der beliebteste Ort zum Abhängen der Streifenpolizisten von Sector 2 des Western District. Ein ruhiges Plätzchen, um seinen Kaffee zu trinken, seine Berichte zu schreiben oder sich einen Sixpack zu teilen – und vielleicht auch, um sich eine Mütze Schlaf zu holen, wenn man am Morgen einen Gerichtstermin hat.
    McLarney wendet sich an Biemiller. »Was meinst du?«
    »Wozu?«, fragt Biemiller.
    »Was schon? Wir haben die Sache für ihn gewonnen, oder?«
    »Nein«, erwidert Biemiller. »Wir haben nicht gewonnen.«
    Moulter nickt zustimmend.
    »So meine ich das nicht«, korrigiert sich McLarney. »Ich will sagen, dass wir die Verurteilung durchgekriegt haben. Darüber muss Gene sich doch freuen.«
    Biemiller schweigt, und Moulter schiebt eine leere Bierdose ins Gestrüpp. Plötzlich wird das Gleisbett von donnerndem Lärm und Licht erfüllt, ein Metroliner rast auf dem Mittelgleis von Ost nach West. Er verschwindet mit einem lang gezogenen Pfeifton, der wie eine menschliche Stimme klingt.
    »Ist doch eine beschissene Geschichte, oder?«, sagt McLarney nach einer Pause.
    »Ja, kann man wohl sagen.«
    »Ich meine, er ist so was wie ein Kriegsheld«, fährt McLarney fort. »Dies ist ein Krieg, und er ist der Held. Ihr wisst schon, was ich meine.«
    »Nein.«
    »Vince, weißt du, was ich sagen will?«
    »Was denn, Terry?«
    »Hört mal gut zu!« Er hebt die Stimme, kommt in Rage. »Gene habe ich das auch schon gesagt. Ich hab’ ihm gesagt, Gene, hab’ ich gesagt, verstehst du eigentlich, dass du die Schüsse nicht wegen der Appleton Street kassiert hast? Scheiß auf die Appleton Street. Scheiß auf das alles. Scheiß auf Baltimore. Er ist nicht für Baltimore angeschossen worden.«
    »Weswegen denn?«
    »Ich erklär’s dir«, redet McLarney weiter. »Und das habe ich auch schon zu Gene gesagt. Ich hab’ ihm gesagt, dass Amerika im Krieg ist. In einem Scheißkrieg, kapierst du? Und Gene war ein Soldat, der verwundet wurde. Er hat die Kugel abgekriegt, weil er sein Land verteidigt hat. Wie in jedem anderen Scheißkrieg.«
    Biemiller feuert eine leere Bierdose ins Gestrüpp. Moulter reibt sich die Augen.
    »Ich will sagen, vergesst, dass das hier Baltimore ist.« McLarney hat sich jetzt richtig in Wut geredet. »Diese Stadt ist im Arsch, und das wird sie auch bleiben. Ist das etwa normal? Dieses beschissene Baltimore! Gene ist Polizist, und er wurde angeschossen, und in jeder anderen Stadt würde man ihn behandeln wie einen Kriegshelden. Versteht ihr, was ich meine?«
    »Nein«, sagt Biemiller. »Nicht so ganz.«
    Ohne die Unterstützung der anderen kann McLarney seine Wut nicht halten, sie sinkt in sich zusammen. »Gene hat es verstanden«, meint er leise, den Blick auf die Gleise gerichtet. »Das ist es, was zählt. Er hat es verstanden, und ich habe es auch verstanden.«
    McLarney stellt sich auf die andere Seite des Autos. Die aufgehende Sonne taucht den Himmel im Osten in leuchtendes Rot. Ein erster Trupp Arbeiter sperrt die Tore der Straßenmeisterei in der Calverton Road auf, und zehn Minuten später rumpelt ein städtischer Laster inRichtung Wasserwerke. Biemiller sieht ihm nach, muss aber blinzeln, weil ihm die Promille die Sicht vernebeln.
    »Mist, wer ist das?«
    Ein paar Meter vom Tor der Straßenmeisterei entfernt steht ein Mann und starrt böse in ihre Richtung.
    »Der Wachmann«, sagt

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