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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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rechten Zeigefingers und verknüpfen sie mit einem Namen und einer Adresse. Jeder Grat, jede Windung, jede Unregelmäßigkeit werden eingelesen, registriert und abgeglichen, bis der Printrak-Computer sein unwiderrufliches Urteil fällt:
    Kevin Robert Lawrence
    Geb. 25.09.1966
    Park Heights Avenue 3409
    Wie all seine Brüder und Schwestern ist der Printrak keines Gedankens fähig. Weder kennt er die Fallakte noch das Opfer, und er weiß nahezu nichts über den Verdächtigen, den er aus der Masse herausfiltert. Er kann auch nicht die Fragen stellen, die sich aus seiner Entdeckung ergeben. Die bleiben dem Detective überlassen, der seine steifen Beine unter dem Metallschreibtisch streckt und auf den Ausdruck starrt, den die Techniker vom Erkennungsdienst nach oben geschickt haben. Warum, fragt er sich, befindet sich Kevin Robert Lawrences Fingerabdruck auf der inneren Umschlagseite des Buchs über afroamerikanische Helden,
Pioneers and Patriot.
Und wie ist das Buch in die Tasche eines in Reservoir Hill ermordeten Mädchens in Reservoir Hill gelangt?
    Gute, einfache Fragen, auf die der Detective augenblicklich jedoch keine Antwort hat. Bisher ist der Name von Kevin Robert Lawrence noch nicht in der Fallakte Latonya Wallace aufgetaucht, niemand in der Sonderkommission hat ihn bisher gehört. Und hätte man Mr. Lawrencenicht am Tag zuvor in einem Supermarkt in Bolton Hill beim Klauen von ein paar Kalbskoteletts erwischt, wäre seine Name auch nicht mit einem im Polizeicomputer von Baltimore registrierten Verbrechen in Zusammenhang gebracht worden.
    Das hört sich nicht gerade vielversprechend an, muss der Detective zugeben. Ein guter Verdächtiger in einem Sexualmord hat in seinem Vorstrafenregister in der Regel etwas mehr zu bieten als eine einzelne Anzeige wegen Ladendiebstahl. Aber irgendwie hatte der Junge ohne kriminelle Vergangenheit das aus der Bücherei stammende Buch des toten Mädchens in den Händen gehabt. Hätte Kevin Robert Lawrence nicht so freizügig eingekauft, wäre sein Name einem Mordermittler wahrscheinlich nie untergekommen. Aber Mr. Lawrence wollte gerne Kalbfleisch zu Abend essen, ohne dafür zu zahlen, und aufgrund dieses etwas beschränkten Verlangens war er nun der Hauptverdächtige im Mordfall Latonya Wallace.
    Nachdem er von einem Wachmann des Supermarkts ertappt worden war, hielt man ihn fest, bis eine Streife vom Central District kam. Gestern spät abends brachte man den einundzwanzigjährigen Lawrence in eine Zelle, und ein Aufseher produzierte mit ordentlich viel Tinte eine Fingerabdruckkarte mit einer gänzlich unverbrauchten Identifikationsnummer. Im Lauf der Nacht nahm diese Karte ihren vorbestimmten Weg zum Archiv im dritten Stock des Präsidiums, wo sie wie üblich durch den Printrak gejagt wurde, der einen neuen Abdruck mit den Hunderttausenden Karten, die die Polizei von Baltimore bereits gesammelt hatte, abgleichen konnte.
    In einer Welt ohne Fehler würden bei diesem wundersamen Vorgang regel- und routinemäßig Hinweise auftauchen. Doch in Baltimore, einer Stadt, die nicht fehlerlos genannt werden kann, funktioniert der Printrak – wie jede andere technische Wunderwaffe im Labor der Spurensicherung – nach Regel Nummer Acht im Handbuch des Mordermittlers:
    Wenn kein offensichtlicher Verdächtiger vorhanden ist, wird auch die Spurensicherung nicht mit brauchbaren Beweismitteln aufwarten können. Hat ein Verdächtiger bereits gestanden und ist von mindestens zwei Augenzeugen identifiziert worden, dann präsentiert das Labor passende Fingerabdrücke, Gewebefasern, Blutgruppe und ein positivesErgebnis der ballistischen Untersuchung. Im Fall Latonya Wallace, einem Red Ball, scheint die Regel jedoch nicht zu greifen. Ausnahmsweise hat das Labor einer festgefahrenen Ermittlung neuen Schwung verliehen.
    Als der unerwartete Fingerabdrucktreffer hereinkam, war der Fall Latonya Wallace gerade ziemlich im Keller, nicht überraschend, denn genau so ging es Tom Pellegrini. Er war seinen Husten nicht losgeworden, und die Erschöpfung schien ihn von Tag zu Tag mehr auszulaugen. Eines Morgens hatte er beim Aufstehen das Gefühl, seine Beine kaum noch bewegen zu können. Es kam ihm vor wie in einem dieser Träume, in dem man losrennen will, aber nicht vom Fleck kommt. Wieder ging er zum Arzt, der diesmal als Ursache für seine Atemprobleme eine allergische Reaktion diagnostizierte. Aber worauf? Pellegrini hatte noch nie zuvor eine Allergie gehabt. Manchmal, so meinte der Arzt, könnte eine

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