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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Mclarney.
    »Verdammt. Nicht schon wieder.«
    »Scheiße, was will der?«
    »Er hat das Bier gesehen.«
    »Ja, und? Soll ihm doch egal sein.«
    Doch da zieht der Mann im Blaumann Block und Stift aus der Tasche und beginnt zu schreiben. Die Cops fluchen.
    »Verdammt, er notiert sich die Autonummern.«
    »Tja«, sagt Biemiller. »Die Party ist wohl zu Ende. Wir sehen uns, Jungs.«
    »Wir sollten besser nicht auf die Innenrevision warten«, meint ein anderer. »Machen wir uns vom Acker.«
    Sie werfen die letzten Bierdosen ins Gebüsch, dann steigen sie in ihre Autos. Die beiden Wagen und der Pick-up brettern los und ziehen am Wachmann vorbei auf die Edmundson Avenue. Am Steuer versucht McLarney die Wirkung des Biers einzuschätzen, dann überschlägt er die Zahl von Verkehrskontrollen, die er zwischen seinem gegenwärtigen Aufenthaltsort und seiner Wohnung in Howard County erwarten darf. Da er sich ziemlich schlechte Chancen ausmalt, ungeschoren durchzukommen, fährt er durch den spärlichen Verkehr dieses Samstagsmorgens nach Osten, biegt auf den Martin Luther King Boulevard nach Süden und trifft wenige Minuten später in South Baltimore vor dem Haus eines Freundes ein, der in der Calverton Road noch dabei war. Die zusammengerollte Morgenzeitung in der Hand bleibt er im Licht des neuen Tages auf den Eingangsstufen stehen. Kurz darauf erscheint der Freund in der Tür.
    »Hast du ein Bier?«, fragt McLarney.
    »Mensch, Terry!«
    McLarney lacht und gibt dem Jüngeren die Zeitung. Die beiden betreten das Haus, und McLarney schlendert ins Wohnzimmer.
    »Was für ein Dreckstall«, sagt McLarney. »Du könntest eine Putzfraugebrauchen.« Der Jüngere kommt mit der Zeitung und zwei Flaschen Rolling Rock vom Kühlschrank zurück. McLarney setzt sich aufs Sofa, schlägt die Zeitung auf und sucht nach einem Bericht über den Cassidy-Prozess. Er verstreut die Seiten, die ihn nicht interessieren, über den Couchtisch, bis er auf der ersten Seite des Lokalteils, ziemlich weit unten, den Artikel findet. Nur ein kleiner Bericht, vielleicht zwölf Absätze.
    »Ziemlich kurz«, sagt er, bevor er zu lesen beginnt.
    Als er fertig ist, reibt er sich die Augen. Dann nimmt er einen kräftigen Schluck von seinem Bier. Plötzlich, endlich, überfällt ihn Müdigkeit. Er ist erschöpft, ausgelaugt und furchtbar betrunken.
    »Es ist so beschissen«, sagt er. »Weißt du, was ich meine? Sehen etwa alle, wie beschissen das ist? Sieht das überhaupt jemand? Kriegen normale Leute das überhaupt noch mit und regen sich darüber auf?«
    Normale Leute. Bürger. Menschen. Selbst jene, die fest an diesen Beruf glauben, halten es gelegentlich für eine Art Krankheit, Bulle zu sein.
    »Verdammt, bin ich müde. Ich muss nach Hause.«
    »Du kannst nicht mehr fahren.«
    »Es geht schon.«
    »Terry, dir fallen die Augen zu, du bist so gut wie blind.«
    McLarney sieht auf. Dieses Wort hat ihn aufgeschreckt. Er nimmt wieder die Zeitung, überfliegt den Artikel, auf der Suche nach dem, was in einem Zeitungsbericht nie zur Sprache kommt.
    »Ich hab’ gedacht, sie würden mehr darüber bringen«, meint er schließlich. Als es ihm nicht gelingt, die Zeitung zusammenzufalten, zerknüllt er sie unbeholfen mit der linken Hand.
    »Aber Gene hat sich wacker geschlagen, nicht wahr?«, sagt er nach einer Weile. »Er war gut, ein guter Zeuge.«
    »Ja, stimmt.«
    »Die Leute hatten Respekt vor ihm.«
    »Ja, das hatten sie.«
    »Gut.« McLarneys Lider werden schwer. »Das ist gut.«
    Der Sergeant lehnt den Kopf an die Rückenlehne des Sofas. Endlich schließt er die Augen.
    »Muss los«, murmelt er undeutlich. »Weck mich in zehn …«
    Wie eine Schaufensterpuppe sitzt er da, im Sitzen eingeschlafen, den Rücken gerade, das rechte Fußgelenk auf das linke Knie gelegt. Die zerknüllteMorgenzeitung ruht auf seinem Schoß, seine fleischige Hand umschließt die halb leere Bierflasche. Er trägt noch immer den Trenchcoat, und sein Schlips ist verdreht, der Knoten aber noch intakt. Die Drahtgestellbrille, verbogen und verkratzt in dem einen oder anderen Handgemenge, ist ein Stück die Nase hinuntergerutscht. Die Dienstmarke steckt in seiner rechten oberen Manteltasche und seine Waffe, die silberne kurzläufige 38er, im Gürtelholster.
    Mittwoch, 8. Juni
    Treffer.
    Wenn der menschliche Geist nicht mehr weiterweiß, spannt die Technik ein paar Muskeln an und präsentiert ihre eigenen Ergebnisse. Dioden, Transistoren, Speicherchips prüfen Wirbel und Bögen des Abdrucks eines

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