Homicide
ersten Mal seit Wochen wieder wie ein richtiger Detective.
Mittwoch, 22. Juni
Clayvon Jones liegt mit dem Gesicht nach unten im Hof des Wohnhauses der Siedlung. Sein Körper verbirgt den 9mm-Colt, den er nicht mehr abfeuern konnte. Der Hahn ist gespannt, die Kugel schussbereit in der Kammer. Irgendjemand war hinter Clayvon her – oder Clayvon hinter ihm –, und Clayvon hat es als Ersten erwischt.
Dave Brown dreht die Leiche auf den Rücken. Clayvon Jones starrt zu ihm hinauf. In seinen Mundwinkeln klebt weißer Schaum.
»Mensch«, sagt Dave Brown, »was für ein schnuckeliger Revolver.«
»Ja, wirklich hübsch«, sagt Eddie Brown. »Was ist das? Ein 45er?«
»Nein, ich glaube, das ist so eine Colt Replika. Sie machen die als 9mm, sodass sie wie klassische 45er aussehen.«
»Das ist eine 9mm?«
»Ja, oder eine 38er. Ich habe im FBI-Magazin mal eine Anzeige für diese hübschen Dinger gesehen.«
»Aha.« Eddie Brown bedenkt den Revolver mit einem letzten Blick. »Wirklich klasse.«
Es ist kurz vor sechs und inzwischen hell geworden. Es verspricht ein heißer Tag zu werden. Außer stolzer Besitzer einer 9mm-Colt-Replika war der Tote ein Zweiundzwanzigjähriger aus der East Side mit einem schlanken und durchtrainierten Körper. Die Leichenstarre ist schon relativ weit fortgeschritten, und bisher konnten die Detectives nur eine Schusswunde finden, und zwar oben, mitten auf dem Kopf.
»Sieht aus, als ob er in Deckung gehen wollte und nicht tief genug runter ist«, stellt Eddie Brown leicht gelangweilt fest.
Auf beiden Seiten des Hofs haben sich Menschen versammelt, um einen Blick auf den Toten zu erhaschen, und das um diese frühe Uhrzeit. Aber bei der Befragung in den umliegenden Häusern wird sich garantiertkein einziger Zeuge finden. In den nächsten Stunden werden vier anonyme Hinweise eingehen – »Ich möchte synonym bleiben«, betont einer der Anrufer –, und ein von Harry Edgerton bezahlter Informant aus dem Osten Baltimores wird ihnen von den Ereignissen berichten. Alles zusammengenommen ergibt sich eine vollständige Chronik des Tods von Clayvon Jones. Nennen wir es Variante 34 eines tödlichen Ghettodramas: Streit zwischen zwei Junkies um ein Mädchen, ein Faustkampf auf der Straße, Drohungen von beiden Seiten, irgendein Jugendlicher wird mit Kokain bezahlt, um Clayvon einen Kopfschuss zu verpassen.
Zu Dave Browns Belustigung behaupten drei der Anrufer, der Schütze habe Clayvon nach dem Mord die weiße Blume auf den Mund gelegt. Die Blume, wird Brown feststellen, ist nichts weiter als der weiße Schaum in den Mundwinkeln des Toten, den sicherlich auch all die Gaffer gesehen haben, die die Detectives schon am Tatort begrüßten.
Doch das liegt in diesem Moment noch in der Zukunft. In diesem Augenblick ist Clayvon Jones einfach nur ein toter Yo mit einer teuren Waffe, die er nicht zum Einsatz bringen konnte. Keine Zeugen, kein Motiv, keine Verdächtigen – das übliche Mantra eines Mords im Milieu, eines echten Whodunit.
»He!, Alter.«
Als Dave Brown sich umdreht, entdeckt er unter den Uniformierten vom Eastern ein bekanntes Gesicht. Ist das nicht Martini? Ja, der junge Cop, der sich bei einer Drogenrazzia in den Perkins Homes im vergangenen Jahr eine Kugel eingefangen hat. Guter Mann, dieser Martini.
»He!, wie geht’s dir, Kumpel?«
»Gut«, sagt Martini und deutet auf einen zweiten Streifenpolizisten. »Mein Freund hier braucht eine Personalnummer für seinen Bericht.«
»Sie sind Detective Brown, nicht wahr?«, fragt der andere.
»Wir heißen beide so«, sagt Dave und legt den Arm um Eddie Browns Schulter. »Das hier ist mein Dad.«
Eddie Brown verzieht den Mund zu einem breiten Lächeln und lässt seinen Goldzahn in der Morgensonne aufblitzen. Die beiden Streifenpolizisten kommentieren die schwarz-weiße Familie mit einem Grinsen.
»Sieht er mir nicht ähnlich?«, fragt Eddie Brown »
Ein bisschen«, erwidert der Uniformierte lachend. »Wie lautet deine Personalnummer?«
»B wie Bravo, neun-sechs-neun.«
Der Officer nickt. Als er den Wagen der Rechtsmedizin in den Hof einbiegen sieht, macht er Platz.
»Sind wir hier fertig?«, fragt Dave Brown.
Eddie Brown nickt.
»Gut«, sagt Dave und geht zum Cavalier. »Jetzt kommt das Allerwichtigste.«
»Und das wäre?«, fragt Dave Brown, der ihm folgt.
»Dass der Big Man ein Sandwich mit Ei bestellt hat, als wir losgefahren sind.«
»Ach ja.«
Donald Worden sitzt in Erwartung seines Sandwich in einer Wolke von Zigarrenrauch im
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