Homicide
Kaffeeraum des Morddezernats und nährt eine Wut, die ihn schon seit zwei Wochen plagt. Es geschieht leise, kaum spürbar, aber mit einer solchen Kraft und Entschlossenheit, dass sich während des morgendlichen Schichtwechsels keiner seiner Kollegen traut, ihm mit einem Gemeinplatz zu kommen.
Aber was könnte man auch groß sagen? Wie beschwichtigt man einen Mann, der sich im Verlauf seiner Karriere stets an einen strengen Ehrenkodex gehalten hat, wenn diese Moral unter Politikern plötzlich verhandelbar geworden ist? Was erklärt man einem Mann, für den die Loyalität zu der Institution, die ihn beschäftigt, ein Teil des Lebensinhalts ist, wenn der Polizeiapparat, dem er fünfundzwanzig Jahre diente, ihm auf einmal vor Augen führt, wie man andere hintergeht?
Drei Wochen zuvor hatten sich die Chefs zunächst an Rich Garvey gewandt. Sie legten ihm einen Tagesbericht vor sowie einige Notizen und einen Aktenordner ohne Namen und Fallnummer. Maryland State Senator, sagten sie. Drohungen. Unbekannte Täter. Eventuell Entführung.
Garvey hörte es sich ruhig an. Dann las er den einleitenden Bericht der beiden Detectives aus Stantons Schicht. Ziemlich unschöne Sache.
»Eine Frage«, sagte Garvey. »Kann ich den Senator an den Lügendetektor hängen?«
Nein, sagten sich die Vorgesetzten, vielleicht ist Rich Garvey nicht der richtige Mann für diesen Fall. Sie entschuldigten sich rasch und gingen mit ihrer Akte zu Worden.
Der Big Man ließ sie reden. Zugleich rief er sich insgeheim die Fakten in Erinnerung: Larry Young, Maryland State Senator, Demokrat, Vertreter des 39ten Wahlkreises in Westbaltimore. Spross aus dem Politikerstall des Mitchell-Clans und Vorsitzender des einflussreichen Parlamentsausschusses für Umwelt und Naturschutz sowie Leiter des Rechtsausschusses der Schwarzen. Er ist eine der führenden Figuren der parlamentarischen Interessenvertretung der Schwarzen und unterhält gute Verbindungen zum Rathaus sowie zu einigen schwarzen Führungspersönlichkeiten der Polizeibehörde. Der zweiundvierzigjährige Junggeselle wohnt allein in der McCullouh Street.
Das alles war klar, der Rest jedoch ausgesprochen abenteuerlich. Senator Young hatte einen Freund angerufen, einen hoch angesehenen schwarzen Arzt, und ihm erzählt, er sei von drei Männern entführt worden. Als er allein aus seiner Wohnung in der McCulloh Street gekommen sei, hätten sie ihn mit einem Lieferwagen abgepasst, ihn zum Einsteigen gezwungen, ihm die Augen verbunden und ihn bedroht. Halt dich von Michael und seiner Verlobten fern, hätten sie gesagt, womit sie einen langjährigen politischen Mitarbeiter meinten, der vorhatte zu heiraten. Anschließend hätten ihn die unbekannten Täter in der Nähe des Druid Hill Parks hinten aus dem Fahrzeug gestoßen. Er sei per Anhalter nach Hause zurückgekehrt.
Ungeheuerlich, sagte der Freund. Du musst die Polizei einschalten. Nicht nötig, erwiderte Larry Young. Warum soll ich mich an die Polizei wenden? Ich werde schon allein damit fertig, ich wollte nur, dass du Bescheid weißt. Der Freund aber blieb hart und sorgte für eine Konferenzschaltung mit Eddie Woods, dem stellvertretenden Polizeichef und politischen Bundesgenossen des Senators. Und Deputy Woods meinte, nachdem er die Geschichte gehört hatte, dass die Entführung eines State Senator von der Polizei untersucht werden müsse. So wurde das Morddezernat eingeschaltet.
»Werden Sie den Fall übernehmen?«, fragten sie Worden.
Rasch überschlug er die unausgesprochenen Fakten: ein mächtiger Abgeordneter mit mächtigen Freunden. Sehr zögerliche Anzeige einesVerbrechens. Nervosität bei den eigenen Vorgesetzten. Beauftragung eines weißen Detective, eines Mannes mit einer sauberen Weste und alt genug, um in Rente zu gehen, falls die Sache eklig wurde.
Meinetwegen, sagte Worden, ich mach’s.
Irgendjemand musste es ja machen, und ein jüngerer Kollege, dachte Worden, hatte einfach mehr zu verlieren. Die Detectives aus Stantons Schicht, die den Einsatz ursprünglich angenommen hatten, wollten nichts mehr damit zu tun haben, und auch Garvey hatte keine Lust, sich eine blutige Nase zu holen. Was aber konnte man ihm, Worden, schon groß anhaben? Ziemlich plausibel, aber wenn Worden so davon sprach, dann klang es, als wollte er mehr sich selbst überzeugen als seinen Gesprächspartner.
Der springende Punkt ist, dass Worden ein Polizist der alten Schule war: Man gab ihm einen Auftrag, und er führte ihn aus. Wenn auch manche meinten, er hätte
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