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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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sich durch seine Befehlstreue bei den Ermittlungen im Fall Monroe Street die Finger verbrannt, so wussten doch alle, dass er niemals kneifen würde, auch wenn er sich dabei wieder die Finger verbrennen konnte. Gemeinsam mit Rick James fuhr er zunächst zur Wohnung des politischen Assistenten in Northeast Baltimore. Er sprach mit dessen Eltern, einem reizenden älteren Paar, das erstaunlicherweise äußerst entzückt war, einen Detective des Morddezernats empfangen zu dürfen. Sie wüssten nichts von einer Entführung, erklärten sie. Am frühen Abend vor dem angeblichen Vorfall sei der Senator sogar bei ihnen vorbeigekommen, um mit ihrem Sohn zu sprechen, doch der sei nicht daheim gewesen. Mr. Young habe gewartet und bis zur Rückkehr ihres Sohnes nett mit ihnen geplaudert. Dann seien die beiden jungen Männer durch die Hintertür nach draußen gegangen, um im Garten ein paar private Dinge zu besprechen. Kurz darauf sei ihr Junge wieder ins Haus gekommen und habe erklärt, der Senator sei aufgebrochen. Dann habe ihr Sohn gesagt, er habe sich am Arm verletzt, und sie gebeten, ihn ins Krankenhaus zu fahren.
    Worden nickte und hörte aufmerksam zu. Mit jedem neuen Detail wurde die Geschichte des Senators lächerlicher, aber auch nachvollziehbarer. Das anschließende Gespräch mit dem Assistenten bestätigte das Bild, das sich Worden bereits ausgemalt hatte. Ja, sagte der junge Mann, der Senator sei bei ihrer Unterredung im Garten wütend geworden.Irgendwann habe er einen Ast aufgehoben und ihm damit auf den Arm geschlagen. Dann sei er weggelaufen.
    »Ich nehme an, in dem Streit zwischen Ihnen und dem Senator ging es um persönliche Dinge«, sagte Worden äußerst behutsam. »Um etwas, das auch privat bleiben soll.«
    »Richtig.«
    »Und außerdem, dass Sie ihn wegen des tätlichen Angriffs nicht anzeigen wollen.«
    »Nein. Das ist nicht meine Absicht.«
    Die beiden sahen sich bedeutungsvoll an und verabschiedeten sich per Handschlag. Auf der Rückfahrt ins Präsidium besprachen Worden und James ihre Optionen. Erstens: Sie konnten tage- oder sogar wochenlang in einer Entführung ermitteln, die nie stattgefunden hatte. Zweitens: Sie konnten den Senator zur Rede stellen und ihm drohen, dass ihm eventuell eine Untersuchung durch eine Grand Jury oder sogar eine Anklage wegen Vortäuschung einer Straftat bevorstand. Das war allerdings riskant und konnte ziemlich rasch heikel werden. Drittens gab es noch eine Möglichkeit, die Worden hin und her wälzte und auf Risiko und Nutzen hin abwog. Und als die beiden Detectives gemeinsam mit D’Addario zum Captain gerufen wurden, um ihm Bericht zu erstatten, präsentierte Worden die dritte Alternative als die vernünftigste Lösung.
    Wenn sie die Entführung als echt behandelten, erklärte Worden dem Captain, würden gestandene Detectives des Morddezernats ihre Zeit mit der Suche nach mysteriösen Männern in einem mysteriösen Lieferwagen verschwenden, der unauffindbar war. Wenn sie den Fall einer Grand Jury vorlegten, würde man noch weitaus mehr Steuermittel verschwenden. Eine Anklage wegen Vortäuschung einer Straftat sei eine Bagatelle, und wer aus ihrem Dezernat wollte wirklich seine Tage damit verbringen, einen Politiker wegen eines geringfügigen Vergehens zu verfolgen, zumal noch gar nicht geklärt war, ob er überhaupt offiziell Anzeige erstatte hatte. Schließlich war es der befreundete Arzt gewesen, der Deputy Woods angerufen hatte, und allein das genügte schon, um zu argumentieren, dass nie die Absicht bestanden habe, ein vorgetäuschtes Verbrechen zu melden. Die dritte Alternative sei die beste, brachte Worden vor, er wolle sie aber nicht allein auf seine Kappe nehmen.
    Der Captain wollte es genauer wissen. Und so schilderte ihm Worden seinen Plan in allen Einzelheiten. Der Captain ging Wordens Vorschlag der Klarheit wegen noch einmal durch, und schließlich waren sich die vier einig, dass er Hand und Fuß hatte. Nur zu, sagte der Captain. Ziehen Sie es durch.
    Noch am selben Nachmittag fuhr Worden zu Senator Youngs Büro. James blieb im Präsidium. Dem jüngeren Detective fehlten noch sechs Jahre bis zur Pensionierung; für ihn stand einiges auf dem Spiel. An seiner Stelle hatte Roger Nolan seine Begleitung angeboten, um nötigenfalls alles bezeugen zu können. Nolan war nicht nur ein Mann, der allen Stürmen trotzen konnte, er war auch ein Schwarzer, wie der Senator. Sollte also irgendwas von ihrer Unterredung an die Öffentlichkeit dringen, konnte man nicht so

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