Homicide
aus dem Fenster geschaut und sie fallen sehen«, liest die Streife von seinem Notizen ab.
»Ach ja?«, erwidert Landsman. »Hat sie noch was gesagt?«
»Hm, nein. Das heißt, vielleicht. Ich meine, ich habe nicht gefragt.«
»Okay«, sagt Landsman, »aber haben Sie schon den Springstock gefunden«
»Springstock?«, fragt der Uniformierte nervös.
»Ja, den Springstock«, wiederholt Landsman bestimmt. »Es ist doch ziemlich offensichtlich, dass die Frau einen Fehler beim Absprung gemacht hat.«
Die Hitze ist schuld, was sonst könnte die Nachtschicht im August erklären, die einer Achterbahnfahrt gleicht. Harry Edgerton nimmt den Anruf einer jungen Streife des Southwestern wegen eines unerwarteten Todesfalls entgegen. Er hört ein, zwei Minuten zu, dann sagt er dem jungen Kollegen, dass er keine Zeit hat, vor Ort zu erscheinen.
»Hören Sie, wir haben gerade alle Hände voll zu tun«, sagt er, das Telefon unter das Kinn geklemmt. »Werfen Sie die Leiche doch einfach in den Kofferraum und bringen Sie sie her. Dann können wir sie uns ansehen.«
»Gut«, sagt der junge Mann und legt auf.
»Mist«, sagt Edgerton und blättert in einem Telefonregister nach der Nummer für die Einsatzleitstelle des Southwestern. »Der hat mir doch tatsächlich geglaubt.«
Höllisch war diese Nacht: ein Mord, zwei Messerstechereien und ein polizeilicher Schusswaffengebrauch. Zwei Tage später fordern McLarneys Detectives das Schicksal erneut heraus. Worden, James und DaveBrown sitzen im Kaffeeraum und warten auf den ersten Einsatz. Um etwas anderes als einen Ghettomord heraufzubeschwören, etwas, das endlose Überstunden bringt, konzentrieren sie all ihre geistigen Energien auf die Leitungen.
»Ich spür’s.«
»Halt die Klappe. Konzentrier dich.«
»Ich spür’s.«
»Ja, da kommt was.«
»Was Großes.«
»Ein doppelter«, sagt Dave Brown.
»Nein, ein dreifacher«, widerspricht James.
»Ein echt komplizierter Fall.«
»Bei einer großen Touristenattraktion …«
»Fort McHenry!«
„Memorial Stadium!«
»Nein«, meint Brown und greift nach der Goldader: »Der Harborplace Pavillion.«
»In der Mittagszeit«, fügt Worden hinzu.
»Uuuuh«, sagt Rick James. »Eine Goldgrube.«
Einfach durchgeknallt.
Oder stellen Sie sich Landsman und Pellegrini eine Woche später im Pennington Hotel in Curtis Bay vor, wo am Südende des Hafens die Tanklager der Raffinerien ein heruntergekommenes Arbeiterviertel überragen.
»Zweiter Stock«, sagt der Rezeptionist. »Rechts.«
Bei dem Toten hat bereits die Leichenstarre eingesetzt; seine Haut ist von kränklichem Gelb. Auf dem Boden steht eine halbe Flasche Mad Dog und auf dem Tisch gegenüber eine leere Schachtel Donuts. Letztlich aber ist ein Toter im Pennington Hotel nur trauriger Alltag.
Eine Streife vom Southern District, ein junger Officer und offenbar noch nicht lange auf der Straße, bewacht den Tatort mit großem Ernst.
»Sagen Sie mir die Wahrheit«, spricht Landsman ihn an.
»Ja?«
»Sie haben die Donuts gegessen, stimmt’s?«
»Wie bitte?«
»Die Donuts. Sie haben sie aufgegessen, oder?«
„Nein, Sir.«
„Sicher?«, fragt Landsman trocken. „Geben Sie’s zu, Sie hatten nur einen.«
»Nein, Sir. Die Packung war schon leer, als ich ankam.«
»Okay, gute Arbeit«, sagt Landsman und wendet sich zum Gehen. »Stell dir vor, Tom, ein Cop, der keine Donuts mag.«
Mehr als jede andere Jahreszeit hält der Sommer seine eigenen Schrecken bereit. Man braucht nur an Dunnigan und Requer zu denken, die während einer Tagschicht bei 38 Grad zu einem alten Mann in einer Souterrainwohnung voller Gerümpel in der Eutaw Street gerufen wurden. Eine Verwesung, die sich gewaschen hatte: Der Mann hatte schon seit mindestens einer Woche geschmort, ehe jemand den Gestank wahrnahm und Abertausende von Fliegen hinter dem Fenster bemerkte.
»Rauch, solange du noch kannst.«, sagt der Mann von der Rechtsmedizin und zündet sich eine Zigarre an. »Ist so schon ziemlich schlimm. Aber wenn wir ihn umdrehen, wird’s noch schlimmer.«
»Dann platzt er, und Sie kriegen es ab«, sagt Dunnigan.
»Nicht bei mir«, meint der Rechtsmediziner. »Ich verstehe mein Handwerk.«
Requer lacht. Und er lacht auch, als die Rechtsmediziner vorsichtig versuchen, das aufgeblähte Wrack umzudrehen und es dabei explodiert wie eine faule Melone und sich die Haut vom Brustkasten löst.
»Gott verdammt«, sagte der Mann von der Rechtsmedizin, lässt die Beine des Toten fallen, dreht sich um und würgt.
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