Homicide
schick uns Tod und schwere Körperverletzung, bevor wir in unserem Schweiß und unserem Gestank ertrinken. Jeder Einzelne von ihnen würde jetzt bereitwilligst einen Drogenmord übernehmen. Sogar einen Doppelmord, mit zwei bleichen Leichen irgendwo in einem Keller, ohne Zeugen, ohne Aussicht auf einen Verdächtigen. Ganz egal, wie die Meldung lautet, wenn sie nur raus auf die Straße können, wo es unglaubliche sechs Grad kühler ist.
Im Hauptbüro hat Roger Nolan den Videorekorder angeschlossen, damit sich die Hälfte seiner Truppe einen dieser grottenschlechten Film ansehen kann, in dem sich die Leute ständig gegenseitig im Auto verfolgen. Der erste der drei Filme, die Nolans Nachtschicht zu sehen bekommt, ist gewöhnlich recht spannend, der zweite in der Regel annehmbar. Um drei Uhr aber gelingt es Nolan immer irgendwie, einen Streifen aus dem Hut zu ziehen, der garantiert zum Einschlafen ist, und Schlaf hat um diese Zeit einen gewissen Reiz.
Die Videokassetten sind Nolans Entgegenkommen bei ihren höllischen Nachtschichten, in dieser absurden Situation, in der sechs erwachsene Männer eine Woche lang die Nacht zusammen in einem Bürogebäude in der Innenstadt verbringen. In Baltimore arbeitet einDetective des Morddezernats drei Wochen in der Frühschicht, dann zwei Wochen in der Spätschicht und schließlich eine Woche in der Nachtschicht. Was zu paradoxen Verhältnissen führt: Stets sind tagsüber eine komplette Schicht aus drei Teams und in der Spätschicht zwei Teams anwesend, während in der Nachtschicht, in den Stunden, in denen fast die Hälfte aller Morde geschieht, ein Team auf sich allein gestellt ist. In einer hektischen Nacht hat niemand Zeit für einen Film oder irgendwas anderes. Wenn man zwei Morde und einen polizeilichen Schusswaffengebrauch in einer Schicht bearbeiten muss, denkt man nicht einmal mehr an Schlaf. Aber in den ruhigen Nächten wie dieser erfahren die Detectives, was Totenstarre ist.
»Mein Rücken bringt mich um«, klagt Garvey.
Kein Wunder. Schließlich versucht er, auf einem Schreibtischstuhl aus Metall zu schlafen, und hat den Kopf auf die Rückenlehne gelegt. Und obwohl es im fünften Stock heißer ist als in einem Kugelgrill an einem Nationalfeiertag, trägt er immer noch seine Krawatte. Der Mann ist nicht ganz dicht.
Kincaid liegt inzwischen schnarchend auf dem grünen Sofa. Bowman ist mal um die Ecke gegangen, aber als man ihn zuletzt gesehen hat, war er auch eingenickt. Sein Stuhl war an die Wand gelehnt, seine kurzen Beine berührten kaum den Boden. Wo zur Hölle Edgerton ist, weiß keiner. Wahrscheinlich schießt er unten in der Baltimore Street in einem Videospiel auf Monster aus dem All.
»He!, Rich«, sagt Nolan, der nur einen halben Meter vom Fernseher weg sitzt, »das hier musst du dir angucken. Die beste Szene des Films.«
Garvey hebt den Kopf und sieht gerade noch, wie ein cooler Typ einen anderen mit einer Art Panzerfaust wegbläst.
»Das war toll, Rog.«
Nolan, der spürt, dass sich seine Leute langweilen, rollt sich auf seinem Stuhl langsam zum Fernseher vor. Dann prüft er den Rücken eines weiteren Videos. »Wie wär’s mit John Wayne?«
Garvey gähnt, dann zuckt er die Achseln. »Wie du willst«, sagt er schließlich.
»Auf dem Band hier sind zwei, in dem der Duke tatsächlich stirbt«, sagt Nolan, der immer noch hellwach ist. »Quizfrage: In wie vielen Filmen stirbt die Figur, die Wayne spielt?«
Garvey blickt zu Nolan. Was er sieht, ist nicht sein Sergeant, sondern ein großer schwarzer Mann mit einer Mistgabel und Hörnern auf dem Kopf. Der innerste Kreis der Hölle, denkt Garvey, ist ein dampfend heißes Kommunalgebäude ohne Betten, mit giftgrünen Wänden und Quizfragen eines Vorgesetzten um drei Uhr nachts.
»Dreizehn«, beantwortet der seine Frage selbst. »Oder sind es vierzehn? Wir haben doch letzte Nacht gezählt … Vierzehn, glaube ich. Man vergisst immer
In der Hölle von Missouri.«
Nolan kennt sich aus. Er weiß alles. Fragt man ihn nach den Oscars von 1939, wird er von dem Zickenkrieg um den Preis für die beste Nebendarstellerin erzählen. Oder nach dem peloponnesischen Krieg, und er erklärt das taktische Vorgehen der Hopliten im alten Griechenland. Man erwähne nur die Westküste Borneos, und … nun, das ist ein schwerwiegender Fehler, wie Terry McLarney einmal schmerzlich erfahren musste.
»Wisst ihr«, platzte er einmal bei einer Spätschicht heraus, »dass in Borneo die Strände aus schwarzem Sand bestehen?«
Zu diesem
Weitere Kostenlose Bücher