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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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in der Woche.
    »Alles ruhig.«
    Wieder einschlafen. Für ungefähr eine halbe Stunde. Und dann ein Augenblick reinen Schreckens: Irgendeine donnernde Maschine, eine Art Rammbock, knallt gegen die Flurtür. Metall, das unmittelbar rechts neben Garvey in der Dunkelheit auf Metall trifft. Schrille, laute Töne.Ein blutrünstiges nachtaktives Biest bahnt sich den Weg durch das dunkle Tor und arbeitet sich rasselnd und schäppernd zu dem schlafenden Team vor. Edgerton erinnert sich an seine 38er in der oberen linken Schublade, eine Feuerwaffe, voll geladen mit 158-Grain-Hohlspitzpatronen. Gott sei Dank, denn jetzt schiebt sich das Biest mit ausgefahrener, stählerner Lanze und einer Bleirüstung, die gegen die Trennwand auf der anderen Seite des Kaffeeraums scheppert, in den Raum. Töte es, sagt die Stimme in Edgertons Kopf. Töte es, jetzt gleich.
    Ein Lichtstreifen fällt auf die Männer.
    »Was zum …«
    »Oje!, tut mir leid«, sagt das Biest und lässt den Blick über die hingekauerten Männer mit glasigen Augen gleiten. »Hab’ nicht gesehen, dass ihr alle schlaft.«
    Irene. Die Reinigungsfrau mit Ost-Bawlmer-Akzent und gelbweißem Haar. Die stählerne Lanze, die sie schwingt, ist der Stiel des Mop, die scheppernde Rüstung die größere Hälfte der Bodenpoliermaschine. Sie leben noch. Blind zwar, aber sie leben.
    »Mach das Licht aus!«, bringt Garvey gerade noch heraus.
    »Mach ich, Süßer«, erwidert sie. »Schlaf nur weiter. Ich fange hier draußen an und lasse euch in Ruhe. Schlaf ruhig weiter, und ich sag Bescheid, wenn der Lieutenant kommt …«
    »Danke, Irene.«
    Sie ist ihre altgediente Putzfrau mit einem Herzen aus Gold und einem Wortschatz, der selbst einen Gefängniswärter erröten ließe. Sie lebt allein in einem Haus ohne Heizung, verdient ein Fünftel des Gehalts der Detectives und erscheint nie später als halb sechs Uhr morgens, um den Linoleumboden im fünften Stock zu wienern. Letztes Weihnachten nahm sie das bisschen Geld, das nicht für Lebensmittel draufging, und kaufte einen Fernsehtisch aus Holzfaserplatten als Geschenk für die Einheit. Kein Schmerz, kein Ärger könnte die Detectives dazu bringen, diese Frau anzuschreien.
    Aber sie flirten gern mit ihr.
    »Irene, Schätzchen«, sagt Garvey, bevor sie die Tür schließen kann. »Sei ein bisschen vorsichtig. Kincaid hat seine Hose ausgezogen und von dir geträumt …«
    »Du lügst.«
    »Frag Bowman.«
    »Es stimmt«, meldet sich Bowman vom hinteren Teil des Büros. »Er hatte seine Hose aus und hat im Traum deinen Namen gerufen …«
    »Du kannst mich mal, Bowman.«
    »Sag das bloß nicht zu Kincaid.«
    »Der kann mich auch mal«, erwidert Irene.
    Wie aufs Stichwort kehrt Kincaid in diesem Moment von der Toilette zurück, allerdings voll bekleidet. Bowman braucht ihn nur kurz anzustupsen, da macht er der Putzfrau auch schon wieder schöne Augen.
    »Komm schon, Irene. Sei ein bisschen nett zu mir.«
    »Warum sollte ich, Donald?« Allmählich findet sie Gefallen an dem Spiel. »Was sollte mich an dir schon reizen.«
    »Da gäbe es so einiges.«
    »Und was sollte das sein?«, fragt sie und sieht ihn verächtlich an. »Meinst du etwa dein kleines Dingelchen?«
    Das ganze Team bricht in schallendes Gelächter aus. In jeder Nachtschicht macht Kincaid Irene zweimal an. Und zweimal in jeder Nachtschicht gelingt es Irene, ihm Paroli zu bieten.
    Jenseits des dunklen Hauptbüros erhellt das helle Blau des Morgens den Kaffeeraum und die äußeren Arbeitsräume. Ob sie wollen oder nicht, dank Kincaids unbeirrtem Werben sind sie alle wieder hellwach geworden.
    Aber das Telefon schweigt weiter, und kurz nach sechs schickt Nolan Bowman nach Hause. Die anderen sitzen still da und versuchen, sich möglichst nicht zu bewegen, bis sich die Klimaanlage für die Tagschicht einschaltet. In einer Art gemeinsamer Trance lehnen sich die Männer zurück. Dann, um zwanzig nach sechs, das Klingeln des Aufzugs, für sie der köstlichste Klang der Welt.
    »Hier kommt die Erlösung«, sagt Barlow, während er hereinmarschiert. »Ihr seht alle ziemlich fertig aus … Du natürlich nicht, Irene. Du bist hübsch wie immer. Ich meine diese hässlichen Kerle.«
    »Fick dich selbst«, sagt Garvey.
    »He!, Mister, spricht man so mit einem Mann, der einen vorzeitig befreit?«
    »Du kannst mich mal«, erwidert Garvey.
    »Sergeant Nolan«, sagt Barlow scheinbar entrüstet, »haben Sie das gehört? Da stelle ich bloß fest, dass die Jungs hier, wie jeder bestätigen kann, fertig

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