Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
Vom Netzwerk:
aussehen, und dann muss ich mir alle möglichen Beleidigungen anhören. War es denn so heiß hier die Nacht über?«
    »Noch heißer«, wirft Garvey ein.
    »Ich bin stolz auf Sie, Mister«, sagt Barley. »Sie sind einer meiner größten Helden. Gab’s letzte Nacht was Besonderes?«
    »Absolut nichts«, antwortet Edgerton. »Es war der Tod hier oben.«
    Nein, denkt Nolan, der vom anderen Ende des Raums zuhört. Nicht der Tod. Schon eher seine Abwesenheit. Tod bedeutet, draußen auf den Straßen von Baltimore zu sein und Geld zu verdienen.
    »Ihr könnt alle abhauen«, sagt Barlow. »Charlie wird gleich hier sein.«
    Nolan aber sorgt dafür, dass Garvey und Edgerton warten, bis die Männer des zweiten Teams eintreffen, während Kincaid um halb gehen darf.
    »Danke, Sarge«, sagt er und schiebt ein Berichtsblatt in Nolans Fach.
    Nolan nickt großmütig.
    »Wir sehen uns am Montag«, sagt Kincaid.
    »Ja«, meint Nolan etwas wehmütig. »Auf Tagschicht.«
    Freitag, 22. Juli
    »Mein Gott, schon wieder eine Bibel.«
    Gary Childs hebt das offene Buch vom Schreibtisch und wirft es auf einen Stuhl zu einem Dutzend anderen. Selbst als die Seiten im kühlen Luftzug der Klimaanlage flattern, bleibt das Lesezeichen an seinem Platz. Klagelieder 2:21:
    Am Boden liegen in den Gassen
    Kind und Greis.
    Die Mädchen und die jungen Männer
    Fielen unter dem Schwert.
    Du hast sie erschlagen am Tag deines Horns,
    geschlachtet, ohne zu schonen.
    Eins stand fest: Miss Geraldine nahm das Buch der Bücher ernst, was nicht nur ihre stattliche Bibelsammlung bewies, sondern auch die gerahmten Fotos, auf denen sie in Sonntagsstaat beim Predigen des Evangeliums vor verschiedenen Ladenkirchen zu sehen ist. Wenn wir durch den Glauben gerettet werden und nicht durch unsere Werke, dann findet Geraldine Parrish bei ihrer Fahrt ins Präsidium vielleicht eine gewisse Befriedigung. Wenn aber die Werke in der nächsten Welt zählen, dann wird sie sich dort wohl für einiges zur Rechenschaft ziehen lassen müssen.
    Childs und Scott Keller ziehen das Bett hoch und durchwühlen einen Stapel darunter abgelegter Papiere. Einkaufszettel, Telefonnummern, Sozialhilfeabrechnungen und sechs oder sieben weitere Policen von Lebensversicherungen.
    »Donnerwetter«, sagt Keller echt beeindruckt. »Hier ist noch ein ganzes Bündel. Wie viel haben wir jetzt?«
    Childs zuckt die Achseln. »Zwanzig? Fünfundzwanzig? Weiß der Teufel.«
    Der Durchsuchungsbefehl für das Haus in der Kennedy Avenue 1902 gibt ihnen das Recht, nach Beweismitteln zu suchen, doch keiner von ihnen erwartet, eine Pistole, ein Messer, Patronen oder blutbefleckte Kleider zu finden. In diesem seltenen Fall sind sie auf der Suche nach Dokumenten. Und sie haben Erfolg.
    »Hier sind noch mehr«, sagt Childs und schüttet den Inhalt einer Einkaufstüte aus Papier auf die umgestülpte Matratze. »Vier Stück.«
    »Was für eine mörderische Hexe.«
    Der Streifenbeamte vom Eastern District, der seit einer Stunde Geraldine Parrish und fünf andere Personen im Wohnzimmer im Erdgeschoss bewacht, klopft leise an die Tür.
    »Sergeant Childs …«
    »Ja?«
    »Die Frau da unten sagt, dass sie sich schwach fühlt … Sie meint, sie habe eine Herzkrankheit.«
    Childs blickt zu Keller, dann wieder zu dem Uniformierten. »Herzkrankheit, ach ja?«, erwidert er verächtlich. »Hat sie einen Herzanfall? Ich bin gleich unten, dann können Sie zuschauen, wie sie umkippt.«
    »Gut«, sagt die Streife. »Ich dachte nur, das müssten Sie wissen.«
    Childs sieht das Sammelsurium in der Einkaufstüte durch, dann gehter nach unten. Die Bewohner des Hauses sitzen zusammengedrängt auf einem Sofa und zwei Sesseln und blicken ihn in Erwartung einer Erklärung an. Der Sergeant mustert die rundliche, traurig blickende Frau mit der Loretta-Lynn-Frisur und dem roten Baumwollkleid, eine unter diesen Umständen echt komische Gestalt.
    »Geraldine?«
    »Ja, das bin ich.«
    »Schon klar«, sagt Childs. »Möchten Sie erfahren, warum wir hier sind?«
    »Ich weiß nicht, was Sie hier wollen«, erwidert sie und klopft sich leicht auf die Brust. »Ich kann nicht so sitzen. Ich brauche meine Medikamente …«
    »Sie haben keine Ahnung, warum wir hier sind?«
    Geraldine Parrish schüttelt den Kopf, klopft sich noch einmal auf die Brust und lässt sich in ihrem Sessel zurücksinken.
    »Geraldine, wir haben hier einen Durchsuchungs- und einen Haftbefehl. Ihnen werden drei Morde und drei Mordversuche zur Last gelegt …«
    Die anderen Anwesenden

Weitere Kostenlose Bücher