Homicide
Morgen zu wünschen. Woraufhin Smialek den anderen Detectives erklärte, wenn Waltemeyer so weitermache, dann mit einem neuen und noch größeren Arschloch. Sie seien keine Leichenfledderer, sondern Mediziner, und das hier sei kein Schlachthaus, sondern das Institut des Obersten Rechtsmediziners. Je eher Waltemeyer das kapiere, desto besser werde er klarkommen. Am Ende war das Urteil der Detectives über das Smialek-Regime geteilt: Zweifellos war die Rechtsmedizin jetzt besser organisiert und in mancherlei Hinsicht professioneller. Auf der anderen Seite war es immer sehr nett gewesen, morgens ein kühles Bierchen mit Dr. Smyth zu trinken und zuzuhören, wie Steinhice die Toten sprechen ließ.
Dass ein Detective einen Obduktionssaal überhaupt mit Gemütlichkeit und Spaß verbinden kann, sagt einiges über die ebenso seltsame wie robuste Psyche dieser Männer aus. Doch die Detectives parieren all das Schreckliche, was sie zu sehen bekommen, mit Distanz, und die Penn Street hat einiges Schreckliche zu bieten. Ziemlich viele Detectives werden die ersten Male regelrecht krank, und einige schämen sich nicht zuzugeben, dass sie hin und wieder immer noch Probleme mit einem Besuch in der Autopsie haben. Kincaid kommt mit allem zurecht, sofern es nicht eine in voller Verwesung begriffene Leiche ist – dann stürzt er sich durch den Liefereingang ins Freie. Bowman hat ebenfalls keine Probleme – bis sie den Schädel öffnen und das Gehirn herausnehmen, wobei ihm weniger der Anblick zu schaffen macht als das Knirschen der Schädelknochen. Rick James gerät immer noch ein bisschen aus der Fassung, wenn er ein kleines Kind oder einen Säugling auf dem Seziertisch liegen sieht.
Abgesehen von solchen Augenblicken ist ein Besuch in der Rechtsmedizinfür einen Detective Alltagsroutine, nicht mehr. Jeder Ermittler, der länger als ein Jahr im Morddezernat arbeitet, hat schon so viele Obduktionen erlebt, dass ihm der Vorgang vollkommen vertraut ist. Wenn sie unbedingt müssten, könnte die Hälfte der Detectives wahrscheinlich selbst zum Skalpell greifen und eine Leiche zerlegen, auch wenn sie nicht so genau wüssten, wonach sie eigentlich suchen sollten.
Das Ganze beginnt mit der äußeren Beschau der Leiche, die genauso wichtig ist wie die Autopsie selbst. Im Idealfall sollten die Toten so in der Penn Street eintreffen, wie man sie am Tatort vorgefunden hat. Wenn das Opfer bekleidet war, bleibt es bekleidet, und die Kleidung selbst wird mit großer Sorgfalt untersucht. Gibt es Hinweise auf einen Kampf, werden die Hände des Opfers noch am Tatort in Papiertüten eingehüllt (Plastiktüten würden zur Kondensation führen, wenn die Leiche später aus dem Kühlraum geholt wird), um Haare, Fasern, Blut oder Hautbestandteile unter den Fingernägeln und zwischen den Fingern zu retten. Und wenn sich der Tatort in einem Haus oder an einem anderen Ort befand, wo man Spuren sichern könnte, werden die Leute von der Rechtsmedizin die Leiche in ein sauberes, weißes Tuch gewickelt haben, bevor sie abtransportiert wurde, auch dies, um später Haare, Fasern oder anderes Beweismaterial bergen zu können.
Zu Beginn der äußeren Untersuchung wird die Leiche aus dem Kühlraum geholt, gewogen, auf einer Metallbahre unter eine an der Decke befestigten Kamera gerollt, um vor der Obduktion Fotos für die Akte zu machen. Als Nächstes wird die Leiche in den Autopsiebereich geschoben, einen geräumigen Saal, ganz aus Fliesen und Metall bestehend, wo gleichzeitig sechs Untersuchungen vorgenommen werden können. In Baltimore gibt es keine über den Seziertischen installierten Mikrofone, in die der Rechtsmediziner seine Befunde für das Protokoll hineinsprechen kann, wie sie in vielen Obduktionssälen üblich sind. Sie benutzen für ihre Notizen ganz normale Klemmbretter und Filzstifte, die auf einem Regal bereitliegen.
Wenn das Opfer bekleidet war, wird der Rechtsmediziner versuchen, die Löcher und Risse in den Kleidungsstücken den entsprechenden Wunden zuzuordnen. So lässt sich nicht nur überprüfen, ob das Opfer tatsächlich in der vermuteten Weise getötet wurde – ein guter Rechtsmediziner erkennt auf den ersten Blick, ob eine Leiche angekleidetwurde, nachdem sie erschossen oder erstochen wurde –, im Falle von Schusswunden kann auch die Kleidung durch Augenschein oder chemische Analysen auf ballistische Spuren untersucht werden.
Sobald die Kleidung des Opfers einer Voruntersuchung unterzogen wurde, wird jedes Stück vorsichtig entfernt,
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