Homicide
betrachtet, ist dieser Ort ein Schlachthaus.
Die Autopsie führt einem die absolute Endgültigkeit des Geschehenen vor Augen. Natürlich hat ein Detective schon am Tatort einen Toten vor sich, aber bei der Autopsie wird das Opfer noch etwas mehr – oder weniger. Schließlich ist es eine Sache, dass ein Mordermittler von der Leiche, die im Zentrum des ihm gestellten Rätsels steht, emotional Abstand nimmt. Etwas völlig anderes ist es hingegen mitanzusehen, wie diese Leiche entleert wird, wie die körperliche Hülle auf Knochen, Sehnen und Säfte reduziert wird, ähnlich einem Auto, von dem alle Chrom- und Plastikteile entfernt werden, bevor es in die Schrottpresse geworfen wird. Selbst ein Mordermittler – so abgestumpft er auch sein mag – muss erst sein Quantum an Obduktionen hinter sich bringen, ehe der Tod für ihn wirklich zu einer beiläufigen Bekanntschaft wird.
Für einen Detective ist das rechtsmedizinische Institut juristisch eine Notwendigkeit und spurentechnisch ein Gewinn. Die Autopsie durch einen Rechtsmediziner bildet das Fundament jeder Mordermittlung, schließlich muss bei jedem Todesfall zunächst einmal geklärt werden, ob hier jemand durch die Hand eines Menschen oder durch eine andereUrsache umgekommen ist. Neben dieser einfachen Tatsachenklärung kann ein erfahrener Schnetzler oft verhindern, dass ein Unfall irrtümlich für einen Mord oder, genauso verheerend, ein Mord für einen Unfall oder einen natürlichen Tod gehalten wird.
Aus der Sicht des Rechtsmediziners erzählt jede Leiche eine Geschichte.
Bei einer Schusswunde kann der Rechtsmediziner aus der Menge und dem Muster der Schmauchspuren und anderer Rückstände ersehen, ob eine bestimmte Kugel durch eine aufgesetzte Waffe, aus unmittelbarer Nähe oder aus einer Entfernung von mehr als einem Meter abgefeuert wurde. Darüber hinaus kann ein guter Rechtsmediziner an den Rändern der Eintrittswunde ablesen, in welchem Winkel die Kugel ungefähr in den Körper eingedrungen ist. Stammt die Schusswunde von einer Schrotflinte, kann der Mediziner anhand des Verteilungsmusters des Schrots die ungefähre Entfernung zwischen der Mündung der Waffe und dem Ziel abschätzen. Eine Austrittswunde zeigt dem Rechtsmediziner, ob das Opfer frei stand oder ob es sich beispielsweise an eine Wand lehnte, auf dem Boden lag oder auf einem Stuhl saß. Und wenn es mehrere Schusswunden gibt, kann ein guter Rechtsmediziner einem nicht nur sagen, welche Kugel die tödliche war, sondern in vielen Fällen auch, welche Kugeln zuerst abgefeuert wurden oder welche Wunden dem Opfer post mortem und welche ante mortem zugefügt wurden.
Konfrontiert mit einer Stichwunde, wird der Leichendoktor einem sagen können, ob die Messerklinge eine oder zwei Schneiden hatte, gezahnt oder glatt war. Und wenn die Wunde tief genug ist, wird er sich die Druckspuren ansehen, die der Messerschaft hinterlassen hat, und Auskunft darüber geben können, wie lang und wie breit die Mordwaffe war. Und dann gibt es noch die stumpfen Verletzungen: Wurde das Opfer von einem Auto angefahren oder mit einem Bleirohr niedergeknüppelt? Fiel der Säugling in die Badewanne oder wurde er vom Babysitter geschlagen? Immer hat der Rechtsmediziner den Schlüssel zur Spurenschatzkammer, die der Leichnam darstellt.
Aber auch wenn ein Rechtsmediziner bestätigen kann, dass ein Mord vorliegt, wenn er wichtige Informationen über den Tathergang geben kann, so ist er doch selten, wenn überhaupt jemals, in der Lage,einen Detective vom Wie zum Wer zu führen. Allzu oft hat ein Detective nichts vor sich als eine leere Hülle, zu Tode gebracht von unbekannten Menschen vor unbekannten Zeugen. Dann kann der Rechtsmediziner alle nur erdenklichen Einzelheiten liefern: Beschaffenheit der Wundränder, die Reihenfolge, in der die Verletzungen zugefügt wurden, die Entfernung zwischen Schütze und Opfer – und all das ist bedeutungslos. Ohne Zeugen sind die Autopsieergebnisse nur Füllstoff für die Mordakte. Ohne einen Verdächtigen, der vernommen werden kann, können die rechtsmedizinischen Fakten nicht als Widerlegung oder Bestätigung einer Aussage dienen. Und auch wenn der Schnetzler ein absoluter Profi ist, der mit traumwandlerischer Sicherheit die Wunden einer Leiche aufspürt, auch wenn er jedes Stückchen Blei oder Kupfermantel in dieser Leiche ausfindig macht – es bringt nichts, solange keine Waffe für einen ballistischen Vergleich gefunden wird.
Bestenfalls liefert eine Autopsie dem Ermittler die
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