Homicide
dass sie in der Regel Kugeln und Fragmente ohne Röntgengerät ausfindig zu machen in der Lage sind, und zwar mit einer sorgfältigen Untersuchung des Wundkanals sowie ihren Kenntnissen über die Dynamik, die eine Kugel im Körper entfaltet. Eine Kugel beispielsweise, die in den Schädel eingedrungen ist,tritt nicht unbedingt auch aus dem Kopf wieder aus, sondern prallt vielleicht an einem Punkt ungefähr gegenüber der Eintrittsstelle von der Schädelinnenwand ab. So viel jedenfalls verrät schon das Fehlen einer Austrittswunde. Aber ein erfahrener Rechtsmediziner weiß, dass ein Projektil selten im spitzen Winkel von der Schädelwand abprallt. Im Gegenteil, nachdem sie auf den Knochen aufgetroffen ist neigt sie eher dazu, in weitem Bogen an der Innenwand entlangzuschlittern und sich im Knochen an einer Stelle einzunisten, die ziemlich weit von ihrer ursprünglichen Bahn entfernt ist. Aber das ist alles abgehobenes Zeug, und in einer idealen Welt nichts, was ein Mensch jemals wissen müssen sollte. Es ist Wissen, das sich mit der Zeit in einem Obduktionssaal angesammelt hat.
Das Ganze geht schließlich mit der Öffnung des Brustkorbs und der Untersuchung der inneren Organe weiter, die alle in den beiden großen Körperhöhlen miteinander verbunden sind. Dieses Organpaket wird als Ganzes herausgenommen und in die Stahlbecken am anderen Ende des Raums gelegt. Der Rechtsmediziner sucht nun sorgfältig in Herz, Lunge, Leber und den anderen Organen nach Hinweisen auf eine Krankheit oder Deformierung und verfolgt die durch die Organe verlaufenden Wundkanäle weiter. Nun, da die Organe entfernt sind, können die übrigen Wundkanäle bis in den hinteren Gewebebereich der Leiche verfolgt und Projektile, die sich dort in den Muskeln eingenistet haben, entfernt werden. Kugeln und Kugelbruchstücke, eine wichtige Spurenkategorie, werden natürlich mit größter Vorsicht behandelt und von Hand oder mit Werkzeugen aus weichem Material entfernt, um ihre Oberfläche nicht zu verkratzen und die sich anschließende ballistische Untersuchungen auf die Spuren, die die Züge im Lauf der Waffe hinterlassen haben, nicht zu erschweren.
In der letzten Phase der inneren Beschau schneidet der Rechtsmediziner mit der Elektrosäge den Schädel auf und klappt die Decke mit einem hebelartigen Gerät auf. Nach einem Schnitt hinter den Ohren wird nun die Kopfhaut über das Gesicht nach vorn gezogen, sodass etwaige Schädelverletzungen aufgespürt und das Gehirn herausgehoben werden kann, um es zu wiegen und auf Schädigungen hin zu untersuchen. Für alle Beobachter, die Detectives nicht ausgeschlossen, ist dieses Stadium der Autopsie vielleicht das härteste. Das Geräusch derSäge, der knirschende Laut beim Aufbiegen der Schädeldecke, der Anblick des Gesichts, über dem der Skalp hängt – nichts macht den Toten so sehr zu einem anonymen Wesen, als wenn alles Individuelle einfach wie ein Gummiüberzug umgestülpt wird und man unwillkürlich denkt, wir würden alle mit so einer billigen Halloweenmaske auf dieser Erde wandeln, die uns ganz leicht und mit absoluter Gleichgültigkeit vom Gesicht gerissen werden kann.
Die Autopsie endet mit der Entnahme von Körperflüssigkeiten – Blut aus dem Herzen, Galle aus der Leber, Urin aus der Blase – für toxikologische Tests zur Bestimmung möglicher Vergiftungen und des Alkohol- oder Drogenkonsums. Meist möchte der zuständige Detective auch noch eine zweite Blutprobe, um eventuell Blutspuren am Tatort identifizieren zu können oder sie mit dem Blutspuren an Gegenständen zu vergleichen, die im Verlauf der weiteren Ermittlungen sichergestellt werden. Bis die Ergebnisse der toxikologischen Tests vorliegen, vergehen mehrere Wochen; genauso ist es mit der Neutronenaktivierungsanalyse, mit deren Hilfe Schmauchspuren festgestellt werden können. Sie wird im Labor des FBI in Washington durchgeführt. Für die DNA-Analysen, eine weitere Identifikationshilfe, die seit Ende der 1980er-Jahre gebräuchlich ist, benötigt man lediglich Blut-, Haut- oder Haarproben. Sie gilt bei den Kriminaltechnikern als die modernste Methode, die gegenwärtig zur Verfügung steht. Aber weder das Labor des Rechtsmedizinischen Instituts noch das Morddezernat von Baltimore verfügen über die hierfür notwendigen Mittel. Wenn solche Untersuchungen für einen Fall relevant sind und von einem Detective für notwendig erachtet werden, schickt man die Proben daher in eins der an einer Hand abzählbaren privaten Labors, die im
Weitere Kostenlose Bücher