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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Austrittswunden.«
    Garvey sah, wie es in dem Big Man brodelte. Schließlich war es Smialeks Job, Eintritts- und Austrittswunden sauber zu unterscheiden, während Wordens Aufgabe darin bestand herauszufinden, wer den Körper überhaupt durchlöchert hatte. Solche Differenzen haben zur Folge, dass die Zusammenarbeit zwischen einem Rechtsmediziner und einem Detective oft erst nach Monaten und ungefähr einem Dutzend Fällen wirklich klappt. In diesem Fall dauerte es nach der ersten Begegnung eine ganze Weile, bis Worden Smialek als guten Ermittler mit Skalpell anerkennen konnte. Und umgekehrt brauchte der Mediziner ebenso lange, bis er in Worden mehr als nur einen dummen weißen Jungspund aus Hampden sah.
    Da jeder Fall, bei dem ein Mord überhaupt nur denkbar ist, einen Autopsiebericht erfordert, gehört in Baltimore der Obduktionssaal zum Alltag jedes Detective. Es vergeht kein Tag, an dem nicht auch ein Staatspolizist mit einem Ertrunkenen aus West-Maryland oder ein Detective aus dem Prince George’s County mit einem Drogenmord aus den Vororten von Washington in der Penn Street auftaucht. Aber wegen der bloßen Menge der Gewalttaten in der Stadt sind die Cops von Baltimore die eigentlichen Stammgäste des rechtsmedizinischen Instituts, und so ist das Verhältnis zwischen altgedienten Detectives und erfahrenen Rechtsmedizinern mit der Zeit sehr eng geworden. Zu eng, fand Smialek.
    Smialek trat seinen Posten in Baltimore in der Überzeugung an, dass die Rechtsmedizin aufgrund der natürlichen Verbindungen zum Morddezernateiniges von ihrem Status als unabhängiger Institution eingebüßt hatte. Detectives, insbesondere die aus der Stadt selbst, übten zu viel Einfluss bei der Ermittlung der Todesart aus, mischten sich zu sehr in die Entscheidung ein, ob es sich um einen Mord oder einen natürlichen Tod handelte.
    Bis Smialek kam, war der Obduktionssaal ein ziemlich gemütlicher Ort gewesen. Man trank Kaffee und rauchte Zigaretten im Obduktionssaal, und ein paar Detectives waren bekannt dafür, dort am Samstagmorgen mit einem Sixpack oder zwei aufzutauchen und damit den Medizinern früh den am Wochenende herrschenden Hochbetrieb zu erleichtern. Denn Freitagnacht ging es los mit den Gewalttaten. Das waren die Zeiten gewesen, als man beim Morgenappell noch Witze riss und raue Späße trieb. Donald Steinhice, ein Detective aus Stantons Schicht, der die Kunst des Bauchredens beherrschte, hatte auf diesem Gebiet bemerkenswerte Meisterleistungen vollbracht. Etliche Rechtsmediziner und ihre Assistenten waren am Beginn einer Autopsie erstarrt, als sie auf einmal hörten, wie sich der Tote über ihre kalten Hände beklagte.
    Aber die Ungezwungenheit und Leichtigkeit dieser Jahre hatte auch ihre Schattenseiten. Worden zum Beispiel konnte sich noch daran erinnern, dass manchmal im Obduktionssaal das reinste Chaos herrschte. Wenn wegen des Hochbetriebs am Wochenende alle Metallbahren belegt waren, deponierte man die Leichen sogar einfach auf dem Boden. Auch kam es nicht selten vor, dass Beweismaterial verloren ging, und die Aussagekraft der Spuren war oft zweifelhaft, weil die Detectives nicht mit Sicherheit wussten, ob Haare und Fasern, die an der Leiche entdeckt wurden, vom Tatort stammten oder aus der Kühlkammer der Rechtsmediziner. Der wichtigste Unterschied für Worden aber war, dass damals alle gegenüber den Toten viel weniger Respekt zeigten.
    Smialek bereitete all dem ein Ende, als er eine Kampagne für größere Unabhängigkeit seines Instituts und bessere Arbeitsbedingungen startete. Dabei blieb allerdings die kumpelhafte Atmosphäre in der Penn Street auf der Strecke, sodass es dort einfach keinen richtigen Spaß mehr machte. Um seine Professionalität hervorzuheben, bestand er darauf, als Doktor angesprochen zu werden, und er duldete es nicht, dass man das Institut auch nur in einer nebensächlichen Bemerkung als»Leichenschauhaus« bezeichnete. Um Ärger zu vermeiden, lernten die Detectives, zumindest in Smialeks Beisein nur noch vom Rechtsmedizinischen Institut und seinem Leiter, dem Obersten Rechtsmediziner, zu sprechen. Mitarbeiter, die an weniger formelle Verhältnisse gewöhnt waren, darunter auch viele begabte Rechtsmediziner, gerieten bald in Konflikt mit dem neuen Chef, genauso wie die Detectives, die nicht merkten, dass sich der Wind gedreht hatte.
    Einmal machte Donald Waltemeyer den Fehler, beim Betreten des Obduktionssaals lauthals allen versammelten Leichenfledderern im Schlachthaus einen schönen guten

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