Homicide
damit keine Spuren verloren gehen. Auch hier ist Präzision gefragt, nicht Schnelligkeit, genau wie am Tatort. Kugeln und Kugelfragmente zum Beispiel, die aus dem Körper ausgetreten sind, haben sich womöglich in der Kleidung des Opfers verfangen, und werden oft beim langsamen Entkleiden entdeckt.
Wird ein Sexualdelikt vermutet, gehören zur äußeren Untersuchung auch die sorgfältige Prüfung auf innere Verletzungen sowie Vaginal-, Oral- und Analabstriche wegen etwaiger Spermaspuren, die später einen Verdächtigen überführen können.
Andere nützliche Spuren finden sich vielleicht an den Händen des Opfers. Bei einem Mord, dem ein Kampf oder ein Sexualdelikt vorausging, findet man unter den Fingernägeln womöglich Haut- oder Haarfragmente oder sogar Blut des Mörders. War ein Messer im Spiel, sind möglicherweise Verteidigungswunden – zumeist parallele, relativ kleine Schnitte – auf der Hand des Opfers zu erkennen. Ob das Opfer im Lauf der Auseinandersetzung selbst geschossen hat, lässt sich mittels chemischer Tests auf Barium-, Antimon- und Bleiablagerungen auf den Handrücken überprüfen, insbesondere, wenn es sich um eine großkalibrige Handfeuerwaffe handelte. Die Untersuchung der Hände kann auch die Entscheidung darüber bringen, ob es sich um Mord oder Selbstmord handelt: In etwa zehn Prozent aller selbst zugefügten Schusswunden ist die Schusshand mit Blut und Gewebepartikeln übersät – sogenannte Rückschleuderspuren aus dem Wundkanal.
Ein Rechtsmediziner geht an eine Autopsie ähnlich heran wie ein Detective an den Tatort: Er richtet den Blick auf Dinge, die ungewöhnlich sind. Jeder Fleck, jede Läsion, jede ungeklärte Verletzung am Körper wird sorgfältig notiert und untersucht. Aus diesem Grund werden die Krankenhausteams, die die Opfer behandelt haben, gebeten, Katheter, Venenzugänge und andere medizinische Hilfsmittel am Körper zu lassen, damit der Rechtsmediziner zwischen körperlichen Veränderungen, die Folgen von Rettungsmaßnahmen sind, und solchen, die vor der Einlieferung in der Notaufnahme eingetreten sind, unterscheiden kann.
Sobald die äußere Beschau abgeschlossen ist, beginnt die eigentliche Autopsie: Der Rechtsmediziner setzt mit einem Skalpell einen Y-förmigen Schnitt in die Brust, schneidet dann mit einer Elektrosäge die Rippen durch und entfernt das Brustbein. Im Fall einer Penetrationswunde folgt der Mediziner dem Wundkanal durch alle Ebenen des Körpers und notiert die Bahn der Kugel oder die Richtung der Stichwunde, bis das ganze Ausmaß der Verletzung klar ist. Im Fall einer Schusswunde heißt das, entweder bis die Eintrittswunden den Austrittswunden zugeordnet sind oder das Projektil aus dem Körper entfernt werden kann.
Des Weiteren werden die wahrscheinlichen Folgen der einzelnen Verletzungen für das Opfer analysiert. Ein Kopfdurchschuss führt zweifellos zum unmittelbaren Zusammenbruch, bei einem Brustschuss hingegen, der einen Lungenflügel und eine Hohlvene durchbohrte, bleibt das todgeweihte Opfer womöglich noch fünf bis zehn Minuten am Leben. Dadurch kann der Rechtsmediziner Rückschlüsse ziehen, zu welchen Handlungen das Opfer nach der Zufügung der Verletzung physiologisch noch in der Lage war. Das ist allerdings stets ein schwieriges Ratespiel, weil Schussopfer sich selten so plausibel verhalten, wie man es aus Film und Fernsehen kennt. Zum Bedauern der Detectives weigern sich Schwerverletzte häufig, den Tatort ordentlich einzugrenzen, indem sie eben nicht gleich bei der ersten Wunde zu Boden gehen und dort ausharren, bis die Ambulanz kommt – oder der Leichenwagen.
Die verzerrte Darstellung in Fernsehen und anderen Unterhaltungsmedien tritt nirgendwo deutlicher zutage als in der Schilderung der intimen Beziehung von Kugel und Leiche. Hollywood macht uns allen Ernstes weis, jedes billige Pistölchen in der Art einer »Saturday Night Special« könne einen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes umpusten. Jeder Ballistikexperte weiß, dass man schon fast schwere Artillerie braucht, um einen Menschen wirklich umzublasen. Egal, wie schwer eine Kugel ist, welche Form oder Geschwindigkeit sie hat, ungeachtet auch der Größe der Handfeuerwaffe, aus der sie abgefeuert wird, die Masse einer Kugel ist einfach zu klein, um einen Menschen ins Wanken zu bringen. Wenn Kugeln tatsächlich diese Kraft besäßen, würde nach den Gesetzen der Physik der Schütze beim Abdrückenebenfalls von den Füßen gerissen werden. Aber selbst bei den größten
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